Kasperl und Pezi: Wie entstand eigentlich das „Krawuzikapuzi“?

Puppentheater-Prinzipalin Alexandra Filla - mit Kasperl und Pezi
Unter all den Prinzessinnen, Hexen, Zauberfeen und Bösewichtern, die in der Kasperl-Werkstatt fein säuberlich an Haken hängen, gibt es eine ganz besondere Handpuppe. Die allegorische Figur glotzt aus gebückter Haltung nach oben, erinnert ein wenig an Quasimodo und heißt „Das schleichende Gerücht“.
Kein Gerücht hingegen ist, auch wenn man einen verspäteten Aprilscherz vermuten könnte: Der Wiener Bürgermeister zeichnet heute, Donnerstag, Kasperl und Pezi mit dem Goldenen Rathausmann aus. Die beiden sind somit die ersten fiktiven Persönlichkeiten, denen diese Ehre zuteilwird. Der Grund ist schnell gefunden: Vor genau 75 Jahren, im Sommer 1950, begann das Volksschullehrer-Ehepaar Marianne und Hans Kraus, „die Kräuse“ genannt, mit dem Urania Puppentheater. Zunächst im Freien.

Eine der Hunderten Handpuppen in der Kasperlwerkstatt: „Das schleichende Gerücht“.
Den Kasperl, aus dem Hanswurst im Wiener Volkstheater hervorgegangen, gibt es natürlich schon viel länger. Aber den Pezi, der jahrzehntelang zusammen mit Großvater, Mutter und Vater Petz in der Sendung „Betthupferl“ der Held einer unglaublich erfolgreichen Fernseh-Spin-off-Serie war? Da sollte man doch einmal nachfragen! So traf der KURIER den kleinen Bären zum Interview.
Doch Pezi ist halt immer noch Kind. Dementsprechend antwortet er auf die Frage, wann er denn auf die Welt gekommen sei: „Ich bin ganz bestimmt nicht aus einem Ei g’schlüpft!“ Der Mensch im Hintergrund mischt sich gleich ein: „Aber ich kann euch das schon sagen. Und auch, wie der Pezi plötzlich zu sprechen begonnen hat.“
So wurde es dann eben ein Interview mit Alexandra Filla, der Prinzipalin des Puppentheaters, das noch nie eine Subvention bekommen hat, beziehungsweise der „Pezipalin“. Denn bereits seit 1999 leiht sie dem kleinen Bären Hand, Stimme und Herz.

KURIER: Die Kräuse gründeten 1948 die mobile Puppenbühne „Theater der Kleinen“. Nach zwei Wanderjahren wurden sie sesshaft. Gab es den Pezi schon damals?
Alexandra Filla: Es gibt einen Tagebucheintrag von Marianne Kraus aus dem Juni 1950 – mit ungefähr diesem Inhalt: „Seit ein paar Wochen haben wir ein kleines Bärchen, das sehr gut ankommt.“ Der Kasperl hat traditionell immer einen Kompagnon, den Seppl zum Beispiel oder – in der Wiener Handpuppenbühne – den Strolchi. Die Kräuse waren auf der Suche nach einer Zweitfigur und fanden schließlich den Pezi. Weil er ein Bär ist, war er ein stummer Begleiter. Aber durch ein Hoppala hat er dann zu sprechen begonnen.
Ein Hoppala?
In einer Vorstellung verhielt sich der Kasperl anders als vereinbart. Und Marianne Kraus, die den Pezi führte, entfuhr ein hörbares: „Kasperl, bist du brr?“ Den Kindern hat das wahnsinnig gut gefallen. Von da an hat der Pezi gesprochen: Aus der Zweitfigur, der dem Kasperl hinterhergedackelt ist, wurde ein gleichberechtigter Partner. Das muss schon sehr früh passiert sein, denn das Urania Puppentheater heißt seit Anfang an „Kasperl und Pezi“.

Mit der Großmutter und dem Kasperl im Jahr 1956: Der Pezi war noch ein richtiger Bär mit Plüschfell. Gesprochen hat er aber schon. Und am liebsten Guglhupf gegessen.
Wie kamen Sie zum Pezi? Haben Sie das Puppenspiel erlernt?
Das kann man gar net. Ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, Puppen zu spielen, weil ich dafür eigentlich zu klein bin.
Zu klein?
Die Bühne ist auf 1 Meter 80 gebaut – und ich bin 1,62. Deswegen trage ich beim Spielen ganz, ganz hohe Schuhe. Jedenfalls: 1999 ist Marianne schwer erkrankt. Und Manfred, mein Chef, hat gesagt: „So, du spielst heute den Pezi.“ Ich bin also ins kalte Wasser gesprungen. Die Marianne hat mich dann gesehen und mir den Pezi quasi übergeben: „Mein Kind, du bist absolut fähig, meine Nachfolgerin zu sein.“ Und kurz darauf ist sie gestorben.
Wieso waren Sie überhaupt im Team, wenn Sie nicht Puppen spielen wollten?
Ich studierte in Wien und musste mir daher einen Nebenjob suchen. Meine Mama hat dann 1994 die Annonce in der Kronen Zeitung, nein im Kurier, im KURIER!, gefunden: „Urania Puppentheater sucht männliche und weibliche Mitarbeiter mit Fähigkeiten für Theaterbetrieb.“ Widerwillig bin ich halt hin – und wurde genommen. Von diesem Zeitpunkt an war es um mich geschehen. Denn für mich als Burgenländerin hatte es den Kasperl nur im Fernsehen gegeben. Ich wusste gar nicht, dass es das Kasperltheater auch live gibt. Und war dann derart fasziniert von dem Ganzen. Ich war fortan die Technikerin, hab halt die zehn Regler hin- und hergeschoben und die Tonbänder reingeschoben.
Das Studium?
Nicht fertiggemacht. Ich bin a Praktikerin. Nicht zuhören, sondern selber machen!
Und Sie hatten auch in der Sekunde den richtigen Tonfall für den Pezi drauf?
Ja. Das ist Schicksal, dass meine Stimme fast ident ist mit der von Marianne Kraus.
1995, nach dem Tod von Hans Kraus, hatte Manfred Müller die Co-Direktion übernommen. Von 1999 an führte er das Unternehmen. 2018 suchte er verzweifelt einen Nachfolger. Warum haben Sie sich nicht gemeldet?
Er verlangte eine sehr hohe Ablösesumme. Und ich hatte das Geld nicht. Aber ich kann mir ohnedies niemanden Besseren als Eigentümer vorstellen als den André Heller. Er liebt das Kasperltheater, er versteht einfach, wie es funktioniert. Und vor allem: Er versteht mich. Daher mischt er sich auch gar nicht ein. Das Einzige, das er sich wünscht, sind mehr wienerische Ausdrücke. Das machen wir gern. Haben wir auch immer gemacht.
Das geflügelte Wort ist „Krawuzikapuzi“. Wie kam das?
Das weiß ich gar nicht. Es gibt eine Fernsehaufzeichnung aus den 50er-Jahren, in der allerdings der Kasperl „Krawuzikapuzi“ verwendet. Es hat sich jedenfalls durchgesetzt als Äußerung, die immer passt, wenn man gerade nicht weiß, was man sagen soll. Und heute verwendet nur der Pezi das Wort.
Pezi ist eindeutig zur Hauptfigur geworden.
Kasperl gibt es mehrere – von den verschiedenen Puppenbühnen. Aber Pezi gibt es nur einen. Er ist unersetzlich. Und: Ich spiele mittlerweile mit dem vierten Kasperl, Florian Schwarz ist ein wunderbarer Kollege, aber den Pezi habe immer nur ich gespielt.
Immer?
Immer. Auch mitten in der Nacht, wenn’s sein muss.
Ein Back-up, falls Sie einmal ausfallen sollten?
Gibt es nicht. Ich habe bisher jede Vorstellung bestritten – auch mit Stimmbandentzündung und Fieber. Nein, nicht ganz. Einmal hatten wir alle gleichzeitig Corona. Zur Bekanntheit von Pezi hat vielleicht auch die Pandemie beigetragen. Denn ich war in den Lockdowns allein zu Hause – mit dem Pezi. Ich hab damals 92 Videos gemacht und auf Youtube hochgeladen.
Hat sich der Pezi im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Am Anfang hatte er noch ein Fell, jetzt ist sein Kopf glatt. Und statt einem rot-weiß-gestreiften Leiberl trägt er ein blau-weiß-gestreiftes.
Modetorheiten gab es nie?
Nie. Es geht um den Wiedererkennungswert. Und es spielt überhaupt keine Rolle, was die beiden anhaben. Den Kindern ist ja auch ganz egal, was sie selber tragen. Und sonst? Er spielt gerne Fußball. Aber das hat er auch früher gern gemacht. Und am liebsten hat er den Guglhupf von der Großmutter. Palatschinken und Würstel gehen auch noch. Es ist alles gleich geblieben. Ich glaub’ auch, dass das für die Kinder wichtig ist.
Döner könnte daher nie seine Leibspeis werden.
Aber weil seine Neugierde geblieben ist, würde er alles probieren. Auch den Döner.
Und könnte einmal ein Handy auftauchen?
Nein. Wenn telefoniert wird, dann nur mit einem Wählscheibentelefon. Wir versuchen schon, unsere Produktionen, die wir wieder aufnehmen, zu entstauben, aber wir bleiben in unserer Kasperlwelt. Daher schaut auch die Großmutter so aus, wie heute keine Großmutter mehr ausschaut. Und daher gibt es den Pracker. Die Kinder wissen zwar vielleicht nicht, wofür man ihn verwendet hat, aber er gehört ganz selbstverständlich dazu. Sie fiebern mit Kasperl und Pezi mit. Und wenn die beiden sagen, dass etwas richtig ist, ist es auch für sie richtig.

Aus Lindenholz geschnitzt: Kasperl und Pezi. Ihr neues Abenteuer „Das Fest“ wird am 3. Oktober uraufgeführt.
Ist das Kasperltheater daher eine moralische Anstalt?
In gewisser Weise sicher. Es wird zum Beispiel niemand wegen seines Aussehens, seiner Sprache, seiner Herkunft weggeschickt oder ausgegrenzt.
Kommt Krieg zur Sprache? Tauchen Flüchtlinge auf? Oder bleiben Kasperl und Pezi in der heilen Welt?
Die aktuellen Krisen werden nicht angesprochen. Es geht jedoch immer um die prinzipiellen Werte. Zum Beispiel, dass man helfen muss. Und auch wenn es vielleicht nicht gleich klappt: Pezi und Kasperl helfen immer!
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