Jüdisches Leben ist mit den antisemitischen Ausfällen des Megastars über Nacht noch einmal gefährlicher geworden. Eine der berühmtesten Figuren der Welt findet Hitler gut und verunglimpft Juden? Da werden düstere Erinnerungen wach.
Zusätzlich hat Kanye West sein gesamtes Schaffensuniversum in eine Megakrise manövriert: Das Luxuslabel Balenciaga hat sich schon vor Monaten von ihm getrennt, ebenso Adidas, das mit den von West designten Yeezy-Sneakers auf einer Goldgrube saß. Ein Gewinneinbruch von einer Viertelmilliarde soll die Folge sein. Beide Firmen müssen sich heute die Frage gefallen lassen, ob ihnen nicht früher aufgefallen sei, mit welchem Partner sie hier Geschäfte machten. In einer Welt der kulturellen Codes ist all das seit dem „Hitler“-Auftritt schwer belastet. Von der einen Seite droht Boykott, von der anderen die Vereinnahmung durch politische Extremisten.
Unabsehbar sind die Folgen außerdem für Rap im Allgemeinen. Das Genre hat in den vergangenen Jahrzehnten mit Superstars wie West und Jay-Z die Popkultur im Sturm übernommen. Dazu gehört neben kunstvoll arrangierten Produktionen und kreativen Versen der Hang zur Provokation: Frauen werden hier zu „Bitches“, Schwarze zu „N***as“, Verbrechen ist cool, und Geld scheffeln alles. Die Grenzen des Sagbaren wurden kunstvoll verschoben, zahlreiche verbale Herabwürdigungen wurden zu stolzen Selbstbezeichnungen umgedeutet. Ein Milliardenbusiness, zu dessen schillerndsten Protagonisten Kanye West gehört. Er heiratete eine der berühmtesten Frauen der Welt, Kim Kardashian, wurde zu einem tief gläubigen Christen und lieferte in einem manischen Schaffenszwang teils Fragmente, teils echte Kunstwerke in Albumform.
Nach „Hitler-Gate“ und Antisemitismus fragt man sich: Warum schweigen die sonst so redegewandten Protagonisten der Szene quer durch die Bank? Ist Judenhass kein Grund, sich kritisch zu äußern? Darf man Hitler als Afroamerikaner gar gut finden?
Das Verhältnis der beiden amerikanischen Minderheiten ist alles andere als unbelastet. So mischen sich immer wieder antisemitische Klischees in die schwarze Alltagskultur, und zwar schon bevor Kanye West seine politische Radikalisierung durchmachte.
Auch auf der Ebene der Bürgerrechtsbewegung gibt es immer wieder Aussagen, die bedenklich sind. Der berüchtigte „Nation of Islam“-Anführer Louis Farrakhan sah Juden als Feindbild: Diese würden die Musikindustrie kontrollieren und schwarze Künstler ausbeuten. Kanye, zwar selbst Christ, bezog sich in einem seiner Ausfälle auf Farrakhan. Auch die These, dass schwarze Menschen nicht antisemitisch sein können, gehört zu gängigen Verschwörungserzählungen: Die Black-Hebrew-Israelite-Bewegung etwa behauptet, dass schwarze Menschen die wahren Nachfahren der biblischen Israeliten seien. West glaubt das auch.
Was ist mit Künstlern wie Jay-Z, die mit West gemeinsam Millionenhits veröffentlichten? Man bangt. Und wartet auf Reaktionen.
Auch auf die der Streamingdienste: Auf Spotify und Apple Music, den größten Anbietern von digitaler Musik, ist West weiter abrufbar.
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