Oscarpreisträgerin Juliette Binoche: „Man kann meine Angst fühlen“

Juliette Binoche.
Die Starschauspielerin ist zu Besuch in Wien und präsentiert im Rahmen Viennale ihre erste Regiearbeit „In-I In Motion“ – angestoßen von Robert Redford.

Juliette Binoche war schon öfters in Wien: „Ich habe sogar hier gedreht!“ („Caché“ mit Michael Haneke, Anm.). Trotzdem ist es diesmal eine Premiere, denn die französische Starschauspielerin hat erstmals selbst bei einem Film Regie geführt, den sie nun im Rahmen der Viennale präsentiert: „In-I In Motion“ heißt ihr Werk, das die Proben zu einer Performance namens „In-I“ und dann die fertige Aufführung dokumentiert.

Im Jahr 2007 hatte sich die Oscarpreisträgerin mit dem britischen Tänzer und Choreografen Akram Khan zusammengetan: Sie wollte tanzen, er wollte Schauspielen lernen. Eineinhalb Jahre lang erarbeiteten und probten sie gemeinsam die Theater- und Tanzperformance „In-I“, die von den Höhen und Tiefen einer komplexen Liebesbeziehung erzählt und dabei unglaubliche schwierige tänzerische Leistungen erfordert: „Und eines Tages kam nach der Show Robert Redford zu mir und sagte: ,Du musst aus diesem Stück einen Film machen!‘“, erzählt Juliette Binoche aufgeräumt im KURIER-Interview und strahlt aus einer knallroten Jacke über ihrem tiefschwarzen Kleid: „Ich wusste, er hatte recht. Ich wusste nur nicht, wie ich es anstellen sollte.“

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Juliette Binoche und Akram Khan bei den Proben zu "In-I"

In einem ersten Schritt bat Binoche ihre Schwester Marion Staldens – ebenfalls Schauspielerin, aber auch Fotografin –, die letzten sieben Aufführungen in Paris mitzufilmen: „Diese Aufnahmen habe ich dann 15, 16 Jahre aufgehoben und gedacht: ,Eines Tages mach’ ich etwas damit.‘“ Die Gelegenheit ergab sich nach über einem Jahrzehnt durch zwei norwegische Investoren, die mit Binoche zusammenarbeiten wollten – „und so kam dieses Projekt zustande“.

„In-I In Motion“ entstand aus insgesamt 170 Stunden Filmmaterial, die während der Proben und den Aufführungen entstanden. Die erste Hälfte des Films zeigt Juliette Binoche und Akram Khan in kargen Probehallen, wo sie unterschiedliche Phase einer leidenschaftlichen Liebe erarbeiten. Streckenweise geht es dabei hoch emotional, aber auch physisch stark herausfordernd zu: „Es ist genug!“, brüllt Binoche ihren Partner Akram Khan an.

„Du bist ein Monster!“, brüllt dieser zurück.

Dazwischen stürzen sich die beiden aufeinander, rollen eng umschlungen über den Boden, küssen sich, stoßen einander weg – Szenen, die man sich heute ohne Intimacy-Coach nur schwer vorstellen kann: „Deswegen mag’ ich diese Szenen und deswegen habe ich sie auch in meinem Film drinnen gelassen“, grinst die Schauspielerin: „Ich komme aus den Achtzigerjahren. Wenn mich jemand fragt, wo er seine Hand hinlegen darf, finde ich das eher irritierend. Andererseits verstehe ich völlig, wo  dieser Wunsch nach Sicherheit herkommt. Es gab  eine Unmenge an unerträglichen Situationen, wo Frauen – und auch Männer – schlecht behandelt und manipuliert wurden.  Aber als Künstlerin muss man auch aufpassen, dass einen die Politik nicht in der Arbeit einschränkt.“

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Regiedebüt von Juliette Binoche: "In-I in Motion" mit Akram Khan.

Casanova

Im zweiten Teil des Films sieht man das fertige Stück „In-I“ als Live-Performance. Es beginnt damit, dass Juliette Binoche auf einem Sessel sitzt und erzählt, sie säße in einem Kino und schaue sich den Film „Fellinis Casanova“ an. Während der Vorstellung blickt sie sich um und entdeckt einen Mann, in dessen Hinterkopf sie sich verliebt. Sie folgt ihm auf die Straße und fährt ihm schließlich bis nach Hause nach, wo sie dem Fremden mitteilt: „Ich will mit dir leben“. Während Binoche diese Geschichte erzählt, führen sie und Khan diese erste Begegnung tänzerisch auf.

„Das ist tatsächlich so passiert“, meint Binoche und lacht ihr berühmt erdiges Lachen: „Im Alter von 14 bin ich aus der Provinz angereist, um in einem Pariser Kino den Casanova-Film von Fellini anzusehen. Bei der Gelegenheit hab’ ich mich in den Mann vor mir verliebt, obwohl ich nur sein Profil gesehen habe.“

Bei der Erinnerung daran muss Binoche schon wieder lachen: „Ich war 14 und er ungefähr 30. Ich habe ihn auf der Straße verfolgt. Erst, als er mir erlaubte, ihn auf eine Party zu begleiten, hab’ ich mich am Absatz umgedreht und bin davongerannt. Ich habe mich verliebt und Casanova hat mir geholfen.“

Geholfen hat ihr das Performance-Stück auch bei ihrer weiteren Schauspielkarriere: „,In-I‘ wurde in 120 Städten auf der Welt aufgeführt“, sagt Juliette Binoche: „Ich habe mich vor jeder Aufführung gefürchtet. Ich glaube, man kann meine Einsamkeit und meine Angst fühlen. Aber nach dieser Erfahrung konnte mich nichts mehr so leicht erschrecken.“

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