Leonardo Van Dijl – obwohl selbst „nicht sehr athletisch“, wie er im KURIER-Gespräch zugibt – war immer schon fasziniert von der Welt des Sports und ist selbst leidenschaftlicher Tennisspieler. Deswegen erzählte er seine Geschichte auch im Tennis-Milieu – „weil ich mich dort am besten auskenne und nicht, weil es dort besonders schlimm zugeht“.
Günstig hinzu kam, dass erst unlängst Schauspielstars wie Zendaya in Luca Guadagninos Dreiecksfilm „Challengers“ dem Tennissport im Kino einen populären Schub versetzte: „Das war ein Wink des Schicksals.“
Van Dijs Hauptdarstellerin Tessa van den Broeck ist selbst professionelle Tennisspielerin – für den Regisseur eine Voraussetzung für die Rolle: „Opfern von Missbrauch wird oft Misstrauen entgegengebracht. Wenn Julie von einer Person gespielt wird, die keinen Ball trifft, hätte das die Authentizität ihrer Geschichte untergraben.“
Außerdem habe er die Erfahrung gemacht, dass gute Tennisspielerinnen potenziell auch gut schauspielen können, „weil sie den Auftritt gewöhnt sind – sei es im Training, wo sie schnell auf Feedback reagieren müssen, aber auch bei Turnieren. Sie bringen also eine perfekte Kombination aus Vorbereitung, Praxis und Improvisation mit.“ In Tessa von den Broeck fand Van Dijl „eine Tennisspielerin mit Star-Qualität“, die es noch dazu schaffte, „viele verschiedene Schichten an Emotionen darzustellen und dabei doch stoisch zu bleiben.“
Aber warum bleibt Julie stoisch? Warum äußert sie sich nicht zu den Verwürfen, die gegenüber ihrem langjährigen Trainer im Raum stehen?
Sprache finden
„Julie schweigt nicht aus kindischem Trotz“, sagt Leonardo Van Dijl: „Ihr fehlt einfach die Sprache. Sie ist 15 Jahre alt und muss erst ihre eigenen Worte finden, bevor sie sprechen kann. Und das dauert seine Zeit.“
Dass es zu einer Form von Missbrauch kam, sei für ihn klar, so der Regisseur, doch ginge es ihm nicht darum, nähere Details oder Definitionen zu liefern. Vielmehr wolle er das Publikum dazu auffordern, über die Eigenwahrnehmung von Missbrauch nachzudenken: „Unsere Gesellschaft neigt dazu, Druck auf Opfer auszuüben, um sie zum Sprechen zu bringen. Aber wir sollten auch lernen, dem Schweigen zuzuhören.“
Um die Kostbarkeit einer Verweigerung von schnellen Antworten zu unterstreichen, drehte Van Dijl auf teurem, analogen Filmmaterial – nicht zuletzt auf Drängen seines belgisch-griechischen Kameramanns Nicolas Karakatsanis: „Wenn man mit einem Griechen dreht, hat man automatisch griechische Tragödie dabei“, schmunzelt der Regisseur. Hochpreisiges Material verändere den Prozess des Drehs und verlange noch präzisere Planung. Außerdem: „Julie trägt einen schweren, inneren Konflikt mit sich herum und fühlt sich die gesamte Zeit über von ihrer Umgebung beobachtet. Unsere Kamera verstärkt dieses Gefühl.“
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