Julia Jentsch wird von ihrer Tochter kontrolliert: "Schrecklich oder lustig"

Ein junges Mädchen liegt auf dem Bett und liest ein Buch.
Julia Jentsch über ihre Filmrolle als Mutter, deren Tochter alles sehen und hören kann, was die Eltern tun: „Was Marielle weiß“ - jetzt im Kino.

Wenn Kinder telepathische Fähigkeiten haben, befinden wir uns meistens in einem Horrorfilm: In „Shining“, zum Beispiel, oder „The Sixth Sense“. Dabei geht es oft recht blutig zu und die Kleinen haben übersinnliche Visionen und sehen Tote.

Nichts davon in der deutschen Tragikomödie „Was Marielle weiß“ (derzeit im Kino): Nachdem die zwölfjährige Schülerin Marielle von ihrer besten Freundin eine saftige Ohrfeige erhalten hat, kann sie plötzlich sehen und hören, was ihre Eltern tagsüber so treiben. Und zwar alles. Sie kann hören, wie ihre Mutter mit ihrem Arbeitskollegen eine heimliche Zigarette raucht und bei der Gelegenheit einen sehr expliziten Sex-Talk mit ihm führt.

Sie kann sehen, wie ihr Vater, der in einem Verlag arbeitet, bei einem Konflikt mit einem vorwitzigen Kollegen sofort feige den Schwanz einzieht. Als Marielle abends beim Essen die Eltern mit ihrem Wissen konfrontiert, stellen sich beide blöd: Was, ich? Ich rauche nicht!

Konflikt? Aber nein! Natürlich habe ich dem frechen Kollegen sofort ordentlich meine Meinung gesagt!

Die Idee zu seinem Film hatte der deutsche Regisseur Frédéric Hambalek, als ihm Freunde ganz stolz ihr neues Baby-Phone präsentierten, mit dem sie ihr Kind rund um die Uhr nicht nur hören, sondern auch sehen konnten: „Frédéric fand das ziemlich außergewöhnlich und begann darüber nachzudenken, was für Möglichkeiten der Überwachung Eltern heutzutage haben und wie stark sie ihr Kind kontrollieren können“, erzählt Julia Jentsch, die Marielles fremdgehende Mutter spielt, im Gespräch mit dem KURIER: „Dann kam er auf die Idee, sich die umgekehrte Situation vorzustellen: Was wäre, wenn die Kinder die Möglichkeit hätten, ihre Eltern rund um die Uhr zu kontrollieren?“ Sie selbst war von der Originalität dieser Filmidee augenblicklich angetan, sagt Jentsch: „Ich dachte mir sofort: So ein Drehbuch habe ich noch nie gelesen. Es war außergewöhnlich konzentriert, reduziert und bissig geschrieben.“

Ein Paar steht besorgt vor einem Kind.

Abgehört von der eigenen Tochter: Julia Jentsch und Felix Kramer in "Was Marielle weiß"

Was die telepathischen Fähigkeiten ihrer Filmtochter anging, so habe sie das „ein stückweit als realistisch“ empfunden: „Telepathisch ist ein zu starkes Wort, aber Kinder haben sehr wohl die Fähigkeiten, sehr viele Dinge zu erkennen, zu erspüren und wahrzunehmen, die zwischen den Eltern passieren. Von daher war die Ausgangssituation des Films für mich schon sehr stark real verankert und dann einfach auf die Spitze getrieben.“

Büro-Affäre

Tatsächlich gehört es zum Albtraum der meisten Kinder, ihre Eltern beim Sex zu erwischen – und umgekehrt. Insofern zählt jene Szene, in der sich die Mutter zur Affäre mit dem Arbeitskollegen entschließt – wohl wissend, dass ihr die Tochter dabei zusieht – zum tragikomischen Höhe- bzw. Tiefpunkt des Films: „Beim Spielen habe ich diese Szene so ernst genommen, wie sie geschrieben ist, aber ich bin mir schon auch der Momente bewusst gewesen, die etwas Komisches haben könnten. Es obliegt dem Betrachter, ob er das beim Zuschauen schrecklich oder lustig findet“, findet die Schauspielerin.

Emily Watson bei einer Veranstaltung vor einem roten und blauen Hintergrund.

Julia Jentsch über ihre Rolle in "Was Marielle weiß":  "Es wird dramatisch-tragisch"

Und sie resümiert: „Man sieht den Eltern dabei zu, wie sie kämpfen und versuchen, ihr Gesicht zu wahren, und dabei mehr und mehr scheitern. Manchmal ist man voller Mitgefühl und die Eltern tun einem leid. Es wird dramatisch-tragisch. Manchmal bringt es einem natürlich auch zum Lachen oder zum Schämen – wie das so ist, wenn jemand einen verlorenen Kampf kämpft.“

Und damit wäre man auch schon beim Kern von „Was Marielle weiß“: „Wenn man den Film sieht, stellt man sich notwendigerweise die Frage, wie sehr man Formen von Kontrolle möchte und wie sehr man sie auch anderen zumuten will.“

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