Romane fürs Theater zu adaptieren ist nichts Neues. Warum man aber ausgerechnet von Horváth, dessen Theaterstücke von unbestrittener Kraft und Brisanz sind, einen Roman zeigen muss, beantwortet Ostermeiers Inszenierung. Er belässt das Geschehen in den Dreißigerjahren. Jan Pappelbaum hat ihm dafür ein ideales Ambiente geschaffen. Ein dichter Wald aus kahlen Bäumen, Marke Stephen King, prangt auf der Bühne des Landestheaters. Er ist Symbol für das Unbewusste, kann aber auch ganz pragmatisch als Lagerplatz für ein Zeltlager und Tatort von Verbrechen eingesetzt werden. Und das geschieht auch.
Ostermeier hat Horváths Text in eine präzise, messerscharfe Partitur eingepasst, Ouvertüre inklusive. Szene für Szene spielt er mit seinem Ensemble, das wie ein fein aufeinander abgestimmter Chor agiert, den Roman in 140 kompakten Minuten ohne Pause durch. Die Spannung steigt wie in einem ständig wachsenden Crescendo. Ostermeier, der 2011 „Maß für Maß“ mit Gert Voss und Lars Eidinger in Salzburg gezeigt hat, ist ein Mann für echtes Schauspielertheater. Er hat eine Hand dafür, seine Darsteller zu führen.
Sein Solist bei Horváth ist Jörg Hartman, bekannt als Dortmunder „Tatort“-Kommissar Faber. Er ist der Lehrer, der versucht, Widerstand zu leisten, sich aber immer mehr in Schuld verstrickt. Ganz unprätentiös steht er aus dem Publikum auf. Im schwarzen Rollkragenpullover geht er im hell erleuchteten Saal des Landestheaters auf die Bühne.
Dann aber kommt das Verblüffende. Dieser Mann, der aussieht, als kenne er seinen Sartre oder zumindest die ersten Sätze des kommunistischen Manifests in- und auswendig, spricht im selben Ton, in dem er noch höflich um etwas mehr Licht auf der Bühne gebeten hat, den Satz: „Was verdanke ich Adolf Hitler?“ und gibt die Antwort gleich selbst. „Alles.“
Hat sich ein Sprecher der AfD auf die Bühne verirrt? Ein nicht enden wollender Monolog über die Leistungen Hitlers für Deutschland folgt. Das kostet Spannung. Denn Hartmann unterspielt mit übertriebener Naivität das Gesagte. Das stammt aus einem jener Briefe, die Deutsche an Hitler geschrieben haben. Verfasst hat ihn ein gewisser Horst R. aus Braunschweig 1935. Das war in jenem Jahr, in dem Hitler die Nürnberger Rassengesetze erlassen hat und Horváth die Arbeit an seinem Roman begonnen hat.
Nahtlos leitet Ostermeier von diesem Führer-Lob ins Geschehen über. Hartmann tauscht den Rollkragenpullover gegen einen hellen Anzug. Wie ein Hemd streift er sich Horváths Figur über. Präzise zeichnet er das Psychogramm eines Mannes, der sich den Zeitumständen fügt und zwischen Gut und Böse schwankt. Er agiert mit einer gewissen Überdosis an Understatement, die fast schon an der Unerträglichkeitsgrenze schrammt, aber das passt ins Gesamtbild dieses Mannes, der immer durch alles durchtaucht. Der gerne gegen die Staatsideologie aufbegehren würde, ab zu feig dafür ist.
Im Original wird dieser Lehrer von den Schülern „Neger“ genannt. Das lässt Ostermeier nicht so stehen. Er macht ihn zum „Afrikaner“. Damit ist nicht nur das „N“-Wort gestrichen, sondern der Bogen zur Flüchtlingsdebatte gespannt. Das fügt sich ins dichte Geschehen. Dessen Triebwerk aber ist das Ensemble der sieben jungen Schauspieler: Bernardo Arias Porras, Damir Avdic, Veronika Bachfischer, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler, Lukus Turtur. Die rund 40 Rollen verkörpern sie mit Verve. Das Publikum jubelte.
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