Eigentlich wollte er eine Doku über einen superreichen Öl-Oligarchen drehen, der seinen Reichtum mit der Gewinnung fossiler Brennstoffe in Asien angehäuft hatte, erzählt Joshua Oppenheimer im KURIER-Gespräch. Doch dann kam alles anders: Gemeinsam mit dem Mann und dessen Familie besichtigte Oppenheimer einen Bunker, den dieser zu kaufen gedachte – etwa für den Fall, dass es aufgrund der Klimakatastrophe zu sozialen Unruhen kommen könnte. Tausende Fragen brannten auf meiner Zunge, erinnert sich der Regisseur: „Zum Beispiel: ,Wie gehen Sie mit der Schuld um, dass die Umwelt komplett zerstört wurde und Sie daran beteiligt waren? Dass Sie nur sich selbst und die engste Familie retten, aber alle anderen – auch von Ihnen geliebte – Menschen zurücklassen?’ Der Mann plante den Bunker nicht nur für sich und seine Kinder, sondern auch schon für seine Enkelkinder. Und es war klar: Er sucht keine kollektive Lösung, sondern investierte seinen gesamten Reichtum nur in das eigene Überleben. Es war völlig undenkbar, ihm auch nur eine einzig kritische Frage zu stellen.“
Niedergeschlagen zog sich Oppenheimer zurück und sah sich zur Nervenberuhigung seinen Lieblingsfilm „Die Regenschirme von Cherbourg“ an, ein Musical von Jacques Demy aus dem Jahr 1964. Danach wusste er, was er für einen Film drehen wollte: Keine Doku, „sondern ein Musical über eine amerikanische, superreiche Familie, die 25 Jahre nach der Klimakatastrophe in einem Bunker lebt.“
Musical
Warum es wichtig war, seine postapokalyptische Geschichte als Musical zu erzählen?
„Weil das Musical ein Genre der Selbsttäuschung und des falschen Optimismus ist“, so der Regisseur wie aus der Pistole geschossen: „Wir leben in einem kapitalistischen System, das auf dem Prinzip des Kredits beruht. Damit das funktioniert, braucht es die Übereinkunft, dass alles immer besser wird – egal, wie verwüstet unser Planet bereits ist. Alles wird gut – das ist der falsche Optimismus von Kapitalismus und amerikanischer Kultur. Und dieser falsche Optimismus ist die Quintessenz des Musicals.“
Wenn also die Personen in „The End“ ihre Stimme zu einem Lied erheben, dann singen sie „die strahlend schönen Songs, die Josh Schmidt für ,The End’ komponiert hat“, meint Oppenheimer: „Sie versuchen, mit neuen Melodien das schlechte Gewissen, das in ihnen wach wird, ruhig zu stellen und sich zu vergewissern, dass sie gute Menschen sind und alles in Ordnung ist. Doch wenn sie singen, lügen sie.“
Keiner der Schauspieler hatte eine Gesangsausbildung, doch alle suchten die Herausforderung und stellten sich dieser Verletzlichkeit, so Oppenheimer, der übrigens selbst die Lyrics zu den Songs geschrieben hat. Ein Monat lang wurde wild geprobt – „und wir fühlten uns wie die singenden Mitglieder einer Endzeitsekte“.
Insgesamt besuchten der Filmemacher und sein Team 15 Bergwerke, ehe sie sich für das Salzbergwerk in Petralia Soprana auf Sizilien entschieden und in einen bewohnbaren Bunker verwandelten – nicht zuletzt mithilfe romantischer Gemäldemalereien von idyllischen Landschaften, die die Wände zieren und an eine Natur erinnern, die längst zerstört ist. „Aber ich bin ein Optimist“, sagt Joshua Oppenheimer: „Auch wenn für die Familie in meinem Film jede Hilfe zu spät kommt – für das Publikum ist es noch nicht zu spät.“
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