Josefstadt: Vierstimmiger innerer Monolog eines Soldaten

Kritik. In „Ein Kind unserer Zeit“ erzählt Ödön von Horváth die Geschichte eines jungen Mannes, der in einem Führerstaat lebt, beim Militär Heimat findet, Kriegsverbrechen begeht und schließlich körperlich wie seelisch versehrt aus dem Krieg heimkehrt. Auf der Suche nach „Gerechtigkeit“ steigert sich sein Hass, er beginnt an der herrschenden Ideologie zu zweifeln, wird zum Mörder und kommt ums Leben.
Das ist ein Stoff, wie geschaffen fürs Theater. Doch leider (aus der Sicht der Theatermacher) hat der große Dramatiker Horváth kein Stück daraus gemacht, sondern einen Roman.
Solche Kleinigkeiten sind heute aber kein Hindernis mehr: Wir leben im Zeitalter der „Dramatisierungen“, kein Roman und kein Film ist sicher davor, auf die Bühne genötigt zu werden. Interessanterweise hat die großartige Regisseurin Stephanie Mohr – die dem Dramatisierungs-Trend durchaus kritisch gegenüber steht – den Stoff für die Bühne eingerichtet.
Bewohnung
Im KURIER-Interview nannte sie ihre Arbeit auch nicht Dramatisierung, sondern „Bewohnung“: „Ich lese den Roman als Aufschichtung verschiedener Charaktere innerhalb einer Figur, insofern interessiert es mich sehr, das in Bilder und in aufgeteilte Sprache zu bringen.“
Mohr lässt den Ich-Erzähler und alle anderen Figuren von vier hervorragenden Darstellerinnen spielen: Therese Affolter, Katharina Klar, Susa Meyer und Martina Stilp.
Die Schauspielerinnen tragen Kampfanzug (oder auch nur ausgeleierte Militärunterwäsche) und agieren in einem und um einen sich stetig drehenden Zylinder (Bühne: Miriam Busch). Die Aufteilung der inneren Stimmen des Protagonisten ist eine spannende Idee, es ergeben sich interessante Szenen und packende innere Dialoge.
Die Geschichte, die erzählt wird, war einer der letzten Texte, die Horváth vor seinem Tod 1938 geschrieben hat, natürlich unter dem Eindruck des Nationalismus und des drohenden Weltkriegs. Sie gewinnt durch den Ukraine-Krieg ungeahnte Aktualität. Mohr: „Ich sehe diese Geschichte ganz nah an uns dran. Aber ich höre hier weniger Österreich 1938 als Vietnam, Irak, Syrien, Ukraine: Es geht um den Überfall auf ein kleineres Land, wegen Rohstoffen und politischem Zugriff.“
Die Darstellerinnen geben alles, um die Geschichte lebendig zu erzählen. Dennoch bleibt der Abend langatmig und merkwürdig leblos, wie ein viel zu langes Hörspiel.
Vom Premierenpublikum hab es höflichen Applaus für ein spannendes, aber nur bedingt bühnentaugliches Experiment.
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