Hader über Weg zur NS-Herrschaft: "Das steckt alles auch in uns drin"

Sturm kommt auf (2/2)
Josef Hader gerät in dem ORF/ZDF-Zweiteiler „Sturm kommt auf“ als zugereister jüdischstämmiger Schuster in einem bayerischen Dorf mitten im aufkeimenden Nationalsozialismus in die Bredouille.

In „Sturm kommt auf“, der zweiteiligen TV-Verfilmung von Oskar Maria Grafs Roman „Unruhe um einen Friedfertigen“ (1947), spielt Josef Hader einen bayerischen Schuster jüdischer Abstammung, der die politischen Wirren der Weimarer Republik (1919 –1933) drastisch zu spüren bekommt. Der prominent besetzte Zweiteiler ist am Mittwoch, 22. Oktober und am Donnerstag, 23. Oktober, um 20.15 Uhr in ORF 2 zu sehen (und jeweils 24 Stunden davor auf ORF ON).

KURIER: Der Protagonist, wenngleich ein Friedfertiger, gerät in die Mühlen der Politik. Wie unpolitisch kann man in so einer verhängnisvollen Zeit überhaupt sein?

Josef Hader: Ich betrachte diesen Julius Kraus gar nicht als friedfertig, er ist eigentlich feig, angepasst und versucht, irgendwie über die Runden zu kommen. Er ist ein bisschen so, wie wir alle oft ganz gern sind. Und wie es halt manchmal in der Weltgeschichte zugeht, wird man dann von ihr überrollt. Seit es Demokratie gibt, werden die schlimmen politischen Ereignisse zu jeder Zeit eigentlich immer durch die schweigende Mehrheit ermöglicht, die gar nicht so dafür ist.

Prozession nach dem Kirchgang in einem Dorf

 Im Bild: Verena Altenberger (Elies Heingeiger), Max Jung (Peter Heingeiger, Kind)

Bürgermeistersohn Silvan ist als überzeugter Nazi gezeichnet, der nur Schlechtes im Schilde führt. Wie kommt es, dass man diese Ideologie so rasch verinnerlicht?

Das ist ein junger Mensch, der den Ersten Weltkrieg hinter sich gebracht hat und das Militär als sehr positiv empfunden hat. Er steht vor den Trümmern dieser Idee, weil Deutschland abgerüstet wird, und sucht nach einem Lebenssinn. Und genau dann kommt eine neue Bewegung auf, die sagt: Wir machen alles anders, wir wissen, wer die Schuldigen sind. Es wird wirtschaftlich aufwärts gehen, wir haben total schicke Uniformen. Und du kannst deinen Vater ärgern, wenn du in unsere Partei gehst. Man darf nie vergessen, dass das für diese Generation eine sehr verführerische Idee war. 

Und über die Folgen, die das alles haben könnte, hat man wenig nachgedacht? 

Das ganz Schlimme war ja, dass das über viele Jahre auch funktioniert hat, es gab einen wirtschaftlichen Aufschwung, wenngleich auf Kosten einer riesigen Schuldenpolitik. Das hat man damals aber nicht gewusst, weil es keine freien Medien geben durfte. Auch politisch war der Typ da oben, dieser Führer, wahnsinnig erfolgreich, weil die anderen Nationen plötzlich beschlossen haben, dass sie all das, was sie der Weimarer Republik nicht gestatten wollten, ihm jetzt zu erlauben. Daher war er in den Augen vieler ein extrem erfolgreicher Politiker. Wenn wir für unsere Gegenwart lernen wollen, dann darf man nicht in Schwarz-Weiß-Schemata denken, dass die Menschen damals bösartiger oder blöder waren. Das ist leider nicht so, das steckt alles auch in uns potenziell drin.

Zwei Männer mit Hut nach dem Kirchgang

Hader über Sigi Zimmerschied: "Wir kennen uns schon wahnsinnig lang. Ich habe als Student das erste Sigi-Zimmerschied-Programm in Wien gesehen, das muss Anfang der 1980er Jahren gewesen sein. Dann war ich einfach ein junger Kollege von Ihm. Jetzt ist es die erste Zusammenarbeit nach sehr langer Zeit."

Heute sehen viele Parallelen zur damaligen Zeit. Kann man das so einfach sagen? 

Heute geht es vielen Menschen objektiv besser als damals. Ein Unterschied liegt auch darin, dass eine große Mehrheit den Krieg ablehnt. Die negative Sicht wäre, dass wir nicht mehr miteinander reden, uns keine politisch andersartigen Meinungen anhören wollen. Wie es ausgehen wird, wissen wir nicht. Das ist der Unterschied zum Film.

Glauben Sie, dass es schlimmer wird - oder werden die Zeiten wieder besser werden?

Wenn ich das wüsste, wäre ich ein höchst erfolgreicher Zukunftsforscher. Aber ich bin nur Kabarettist und ein bisschen Schauspieler und kann die Zukunft nicht voraussagen. Es wäre wünschenswert, dass man aus der Vergangenheit lernt. Aber wir haben diese Zeiten selber nicht mehr erlebt, und wir haben auch kaum noch jemanden, der uns das erzählt. Filme sind eine Möglichkeit, um uns mit den Fehlern zu beschäftigen, die früher gemacht wurden und nachzuvollziehen, wie es zu dieser Riesenkatastrophe kommen konnte. 

Im Film kommt auch das Grafsche Kunstwort „A-bopa“ vor, das Kraus verwendet. Es wird aber nie erklärt. 

Es wird auch im Roman nicht erklärt. Ich habe gegoogelt, ob das vielleicht jüdisch ist, ob das aus Galizien stammt, aber es kommt im ganzen großen Internet nur in Zusammenhang mit dem Roman von Oskar Maria Graf vor. Könnte sein, dass er es erfunden hat. Er hat sich ja auch sonst nix g'schissen, dem traue ich das zu. 

Im Film kommt auch das Grafsche Kunstwort „A-bopa“ vor, das Kraus verwendet. Was bedeutet es für Sie?

Dinge im eigenen Leben, die man nicht beeinflussen kann. Und die meisten sind in der Politik und in den gesellschaftlichen Entwicklungen zu finden, wo man als Einzelner sagt: Es stört mich gewaltig, aber ich kann nichts dagegen machen. Insofern ist es ein sehr aktueller Begriff.

Mann hält anderen Mann zurück

 Sigi Zimmerschied (Silvan Heingeiger sr.), Frederic Linkemann (Silvan Heingeiger jr.)

Regisseur Matti Geschonneck sagte, für ihn ist es ein Heimatfilm und er sieht daran überhaupt nichts Böses. Wie sehen Sie das?

Das Wort Heimatfilm ist an sich für mich kein negativer Begriff. Natürlich gibt es diese alten Heimatfilme wie „Die Försterchristel“. Ich seh’ mir so was aber heute noch manchmal gern an, wenn es sich ergibt, weil es mich an meine Kindheit erinnert. In den 70er-Jahren gab es dann den Heimatfilm, der versucht hat, das Problematische in den Vordergrund zu stellen, zum Beispiel die „Alpensaga“. Dieser Film steht auch in dieser Tradition, genau deswegen finde ich ihn gut.

Der Film wurde ja noch unbenannt und trägt nicht mehr den Romantitel. Wie finden Sie den neuen Titel? 

Obwohl man immer schimpft über das Fernsehen und sagt, die machen alles banal, muss ich sagen: Ich finde den Titel "Sturm kommt auf" gut für diese Geschichte, aber auch für das, was sie uns für die Gegenwart erzählen will. Man kann sich auch vorstellen, dass sich die Verantwortlichen vielleicht überlegt haben, was man damit assoziiert. "Fackeln im Sturm" vielleicht? (lacht)

Haben Sie als Regisseur Pläne für einen neuen Film?

Momentan überlege ich in verschiedene Richtungen, aber ich habe mir als Aufgabe für dieses Jahr aufgegeben, ein bisschen weniger zu arbeiten. Für jemanden, der nie in Pension gehen wird, ist es ganz gut, manchmal eine kleine Pause einzulegen. Dann lebt man vielleicht länger.

Sie haben also keinerlei Ruhestand vorgesehen?

Nein, dazu ist der Beruf zu schön. Das Kabarett kann man den Altersbedürfnissen anpassen. Irgendwann kann ich mit dem Rollator rauskommen oder mich im Krankenbett rausschieben lassen. (lacht)

Zwei Männer in einer aten Stube

 Im Bild (v.li.): Josef Hader (Julius Kraus), Sebastian Bezzel (Ludwig Allberger)

Derzeit gibt es Probleme in der Filmförderung. Reduziert das auch die Lust drauf, Kinofilmprojekte zu planen?

Ich habe eher ein luxuriöses Problem, ich bin ja in erster Linie Kabarettist und mache auch Filme. Wirklich schlimm ist es für die – auch jüngeren – Kolleginnen und Kollegen, weil sie dadurch die ohnehin schon schmale Sicherheit verlieren, die Filmschaffenden hier geboten wird.

Haben Sie Verständnis, wenn die Politik sagt: Es geht nicht anders, wir haben halt einfach zu wenig Geld?

Dieses Verständnis muss man natürlich haben. Es ist nur so, dass man einen Weg finden muss, wie man die Struktur überleben lässt. Es war ja ein erklärtes Ziel der Filmförderung, eine Szene zu erhalten, wo alle diese Berufe sinnvoll gelebt werden können. Das muss die Politik gewährleisten, und wenn es ihr gelingt, bin ich schon zufrieden. Inwieweit große internationale Produktionen zu uns kommen müssen, weil sie Steuererleichterungen bekommen – da denke ich so: Das ist auch schön, aber das ist eher die Butter aufs Brot, die man vielleicht eine Spur dünner aufstreichen könnte.

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