Filmkritik zu "Zwei Herren im Anzug": Doch kein Nazi war ich nie

Filmkritik zu "Zwei Herren im Anzug": Doch kein Nazi war ich nie
Josef Bierbichler verfilmte seinen Roman „Mittelreich“ zum skurril-tragischen Heimat-Epos: "Zwei Herren im Anzug".

Sein ganzes Leben hat sich Pankraz vom eigenen Besitz in Dienst nehmen lassen. Er selbst wäre am liebsten Wagner-Tenor geworden und hätte den „ Lohengrin“ gesungen; stattdessen musste er den väterlichen Hof übernehmen, Seewirt werden und Touristen bewirten.

„Verfluchtes Erbe“, sagt Pankraz zu seinem Sohn Semi: Der „ganze alte Krempel“ und der „Heimatkram“ könne ihm gestohlen bleiben. Sein Sohn blickt mitleidlos auf den lamentierenden Alten. Gemeinsam sitzen sie in der leeren Wirtsstube; gerade haben sie Pankraz’ Frau – Semis Mutter – begraben.

„Mittelreich“ nannte der bayerische Schauspieler Josef Bierbichler seinen viel gelobten Debütroman, in dem er die autobiografisch gefärbte Familienchronik eines Seewirten über drei Generationen und zwei Weltkriege hinweg erzählt. „Mittelreich“ wurde bereits im Theater inszeniert und verflüssigte sich nun unter Bierbichlers Eigenregie zum formidablen Anti-Heimatfilm, zusammengesetzt aus teils skurril-witzigen, teils bedrückenden Schaustücken.

Schuss auf Christus

In meist aufgeräumten Schwarzweiß-Rückblenden erinnert sich Pankraz (Bierbichler in Doppelrolle) an Kindheit und Jugend und daran, wie der Erste Weltkrieg ausbrach und der Bruder begeistert an die Front zog. Zurück kommt er als „Vollnazi“, schießt in der Kapelle den Christus vom Kreuz („Verrecken sollst, Jud!“) und verschwindet dann in der Klapsmühle. Aus der Traum von der Opernkarriere, Pankraz muss Seewirt werden.

Wie die Vergangenheit darstellen, wenn man sie nicht einmal erinnern kann?

„Ich war nie ein Nazi. Doch kein Nazi war ich nie“, sagt Pankraz auf einem bunt dumpfen Faschingsball zu einer Frau, die als Hitler verkleidet auf dem Tisch tanzt. Ein Bauer hat sich das Gesicht schwarz angepinselt und grinst dem afroamerikanischen Besatzungssoldaten entschuldigend ins Gesicht. Bei dem Wort „Demokratie“ brechen alle Gäste in Buhrufe aus.

Verwesungsgeruch

An das, was während des Zweiten Weltkrieges geschah, könne er sich nicht erinnern, erklärt Pankraz seinem ungeliebten Sohn: Diese Jahre wären „wie ein abgestorbenes Organ“ in seinem Körper – inklusive Verwesungsgeruch. Dafür musste er sich jedes Mal übergeben, wenn seine Frau (eine leidvolle Martina Gedeck) das neu geborene Kind in seine Nähe brachte. Das hat ihm sein Sohn (Simon Donatz, übrigens auch im echten Leben Bierbichlers Sohn) bis heute nicht verziehen.

Bierbichler spielt seinen gedächtnislosen, unbehausten Seewirten zwischen hilfloser Gutmütigkeit und fiesem Gleichmut. Im komisch-bayerischem Polterdialekt navigiert er sich durch die eigene Lebensgeschichte und die goldenen Nachkriegsjahre: Deren Glücksversprechen vom aufstrebenden Wohlstand kann er keine Sekunde genießen. Der Fernseher wird nur dazu verwendet, um den Papst anzusehen. Die fromme Magd fährt Kopf voran in den Himmel. Pankraz’ bigotte Schwestern (sehr lustig: Irm Hermann) tyrannisieren seine Frau, der gemeinsame Sohn verschwindet im katholischen Internat. Dort herrscht Missbrauch. Und an dieser Stelle übernimmt der Sohn vom Vater die Erzählstimme und bestimmt die Rückblenden.

Erzählst du mir dein Trauma, erzähl ich dir meins: Irgendwann kehrt auch bei Pankraz das Gedächtnis wieder. Bruchstückhaft füllt es die Erinnerungslücken, gibt dem Verwesungsgeruch seine grausamen Bilder zurück. Schaurig dringt die Vergangenheit in die Gegenwart ein, versaut für immer.

INFO: D 2018. 139 Min. Von und mit Josef Bierbichler. Mit Martina Gedeck, Simon Donatz.

Kommentare