"Jedermann"-Regisseur Carsen: "Ob es ein gutes Stück ist, weiß ich noch nicht"

Der “Jedermann”, sagt Regisseur Robert Carsen, ist für das deutschsprachige Publikum wichtiger als der “Hamlet” für das englischsprachige: Wichtiger geht es nicht. Carsen inszeniert kommenden Sommer das Hofmannsthal-Werk bei den Salzburger Festspielen neu. Er soll, sagt die Schauspielchefin, eine neue Ära beim Paradestück der Festspiele einläuten.
KURIER: Viel wurde heute über die Wichtigkeit des “Jedermann” gesprochen. Aber ist das überhaupt ein gutes Stück?
Robert Carsen: Was ist Ihre Definition eines guten Stücks?
Etwas, das theatralisch ist, etwas, das vielleicht eine glaubwürdige Entwicklung der Charaktere hat.
Ich denke, es ist sicherlich ein großartiges Stück, ob es ein gutes Stück ist, weiß ich noch nicht. Jedes Mal, wenn ich es lese, verändert es sich. Ich lese es abwechselnd auf Deutsch und Englisch.
Mehr lesen: Deleila Piasko will die Buhlschaft "möglichst komplex und reichhaltig" gestalten
Regisseur Robert Carsen hat im Jahr 2004 bei den Salzburger Festspielen Richard Strauss' „Der Rosenkavalier“ inszeniert, hat aber auch mit einigen Inszenierungen im Theater an der Wien seine Handschrift hinterlassen - etwa mit einer triumphalen „Platee“ von Jean-Philippe Rameau 2014 oder drei Jahre später mit Alban Bergs „Wozzeck“.
2005 inszenierte er „Manon Lescaut“ an der Wiener Staatsoper und die Verdi-Oper „Troubadour“ auf der Seebühne in Bregenz. Bei den Pfingstfestspielen 2024 wird er in Salzburg Mozarts „La clemenza di Tito“ inszenieren.
Eine der anhaltenden Kritikpunkte ist, dass es sehr bequem für den Jedermann ist, knapp vor dem Tod darüber nachzudenken, was er alles falsch gemacht hat. Es ist, als hätte er sein ganzes Leben verpasst.
Das ist natürlich sehr problematisch, und der Teufel weist in seiner Rede brillant darauf hin. Das Schwierige ist auch, dass heutzutage Glaube und religiöse Unterweisung ganz anders funktionieren als damals. Also werden wir einen eigenen Weg finden.
Auch als problematisch angesehen wird längst die Rolle der Buhlschaft: So würde man heute ein Frauenbild nie zeichnen.
Ich stimme völlig zu. Es ist verstörend, heute zu sehen, wie auf Frauen geblickt wurde. Auch dass Hofmannsthal das Stück “Vom Sterben des reichen Mannes” untertitelte. Das ist doch paradox, er meint alle, aber nicht jeder ist reich. Wahrscheinlich tat er das, weil reiche Menschen das meiste zu verlieren haben. Bei der Buhlschaft suchte ich jemanden mit viel Eigenleben, Deleila Piasko ist genau die Richtige. Ich freue mich darauf, mich mit all den Fragen, die den Jedermann betreffen, zu beschäftigen. Aber wenn es nur noch um politische Korrektheit geht, erweist man dem Stück keinen Gefallen.

Apropos Kleid: Das war bis vor wenigen Jahren sehr wichtig bei den Festspielen, es gab große Präsentationen und Titelseiten.
Das ist ein bisschen komisch, oder? Ich finde schon.
Also gibt es keine Rückkehr des Kleid-Hypes?
Der Jedermann gibt eine Party, ganz offensichtlich eine von vielen. Und da ist es doch selbstverständlich, dass jeder, auch die Buhlschaft, etwas Fantastisches anziehen will, oder? Jeder entscheidet jeden Morgen neu, was er anzieht. Klar, wenn man ein großes Trara um das Kleid macht, ermutigt man die Menschen, nur aus dieser Perspektive auf das Stück zu schauen, was ich nicht richtig finde. Wir werden das Stück in seiner Gesamtheit betrachten und auf diese Weise probieren, es neu zu erzählen.
Kommentare