Zwei Freundinnen, zwei Israels

Jerusalem Day, amid the ongoing conflict in Gaza between Israel and Hamas, in Jerusalem
Wie sehr sich das Land seit dem Hamas-Terror verändert hat.

Es begann mit einem Post auf X/Twitter: „Weihnachten in Bethlehem – friedlicher Protest“, schrieb Susanne Glass unter das Foto eines älteren Palästinensers, der auf dem Krippenplatz gebratene Kastanien anbot. Auf dessen Pullover war zu lesen: „We love Jerusalem – the capital of Palestine“. Die ARD-Journalistin Glass, damals Chefkorrespondentin im Studio Tel Aviv, wurde daraufhin mit empörten Reaktionen überschüttet. Besonders harsche Kritik kam von einer jungen Frau, die Glass kurz zuvor bei einer Konferenz kennen- und als überaus sympathisch schätzen gelernt hatte. Die Journalistin wollte sich der Kritik stellen – und „es war der Beginn einer tiefgehenden Freundschaft“, schreibt Glass.

Erschütterungen

Eine, die Terror, Krieg und die tiefgreifenden Erschütterungen überdauert, während sich das Land, über das Glass und ihre Freundin Jenny Havemann schreiben, wohl für immer verändert hat. „Unser Israel gibt es nicht mehr“, lautet denn auch der Titel ihres gemeinsamen Buches.

In abwechselnden Kapiteln schildern die Journalistin Glass und die israelische Politikanalystin, Bloggerin und Unternehmerin Jenny Havemann auf sehr persönliche Weise, wie der Hamas-Terror vom Oktober 2023 das Leben in Israel nachhaltig gezeichnet hat. Vor allem aber führen die beiden Frauen ein konstantes, indirektes Streitgespräch, immer von beiden Seiten mit persönlichen Erlebnissen angereichert, und dadurch lebendig und gut lesbar. Darf man etwa das Leid der Palästinenser mit dem der Israelis gleichsetzen, wie es Glass mehrmals einfordert?

Zwei Standpunkte – zwei verschiedene Israels. Wenn etwa Glass bald nach ihrer Ankunft in Israel, im Jahr 2017, die Erfahrung macht, „dass viele meiner jüdischen Freundinnen und Freunde nicht sehen wollten, dass die arabische Bevölkerung in Israel konstant diskriminiert wurde“.

Dann die Zäsur: Das Massaker, die Entführungen, der Terror der Hamas vom „schwarzen Shabbar“, wie er in Israel bezeichnet wird. Jenny Havemann schreibt über eine von der Hamas entführte junge Soldatin, die zunächst in ihrer Gefangenschaft gut behandelt wurde. Doch nach einer Verletzung kam sie ins Spital – und wurde dort ausgerechnet von einem Arzt getötet. „Mir tun natürlich die Unschuldigen auf der anderen Seite auch leid. Aber wer hat Mitleid mit uns? Niemand hat Mitleid mit uns“, sagt die Mutter der getöteten Soldatin Noa in einem der Kapitel von Havemann.

Zwei Standpunkte liefern die teils berührenden Texte. Immer wird die Haltung der Freundin respektiert – auch wenn die Perspektiven auf Israel sehr verschieden sind.

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Susanne Glass, Jenny Havemann: „Unser Israel gibt es nicht mehr“, LMV, 287 S., 24 Euro

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