Holender erinnert sich: "Seiji trägt sein Herz ohne Schutz!"

Seiji Ozawa und Ioan Holender
Ioan Holender holte Seiji Ozawa als Musikdirektor an die Staatsoper. Wie es dazu kam, und was die beiden verband, erklärt er in seinem Nachruf.

Von: Ioan Holender

Auch zwischen Dirigenten herrschte und herrscht nicht nur Freundschaft und Liebe. Aber Seiji Ozawa war von allen anerkannt, respektiert, ja – sogar beliebt. Er bat mich, Carlos Kleiber persönlich vor der Bekanntmachung zum Musikdirektor der Staatsoper zu informieren. Carlos sagte zu mir: "Achtung, Seiji trägt sein Herz ohne Schutz!" Und das tat er auch in Wien.

Die Staatsoper hat keinen Musikdirektor gesucht, aber als ich spürte, dass Seiji Ozawa Boston für die Wiener Staatsoper verlassen würde, bot ich ihm diesen Posten an. Wir einigten uns in einer halben Stunde über alles, und natürlich war in seinem Haus sein Honorar niedriger als anderswo.

Ozawa war buchstäblich weltweit begehrt und gewünscht, sowohl für Oper als auch für Konzert. Er dirigierte 180 Mal in der Staatsoper – vom 20. Mai 1988 bei "Eugen Onegin" bis zum 23. Oktober 2009, zufällig auch Tschaikowskis Meisterwerk. "Pique Dame" war allerdings die von ihm am häufigsten dirigierte Oper.

Seiji sagte mir, dass er nichts Geniales an sich hätte, sondern sich alles hart erarbeiten müsse. Er hat an jedem Tag, an dem er Orchesterprobe hatte, zwischen 5 und 9 Uhr das Notenmaterial studiert.

Er war ein besessener Schifahrer und Tennisspieler, bescheiden, aber leidenschaftlich, wie in allem. Die durch ihn entstandene "Zauberflöte für Kinder" wurde an seinem Todestag zum 20. Mal aufgeführt. Ozawa dirigierte auf eigenem Wunsch nur einmal das Neujahrskonzert, welches bis heute das meistverkaufte ist.

Er wurde Ehrenmitglied der Staatsoper und der Wiener Philharmoniker wie auch der Berliner Philharmoniker und vom Staat Österreich hoch dekoriert. Er war ein engster Freund von mir und meiner Familie, verbunden in guten und weniger guten Zeiten. Für mich war er der zutiefst empfindende und mitteilungsfähigste Musiker. Nicht nur ich bin einsamer und ärmer geworden.

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