Opernstar Elīna Garanča: "Manchmal hasse ich die Inszenierung"

Bei „Klassik unter Sternen“ im Stift Göttweig erlebt man Jahr für Jahr ein höchstkarätiges Konzert mit einer der herausragendsten Opernsängerinnen unserer Zeit, Elīna Garanča. Seit einigen Jahren erlebt man noch dazu auch den bisher größten Auftritt einer „ZukunftsStimme“: Denn Garanča bringt bei „Klassik unter Sternen“ ebenso wie bei „Klassik in den Alpen“ in Kitzbühel die Gewinnerin oder den Gewinner ihres Nachwuchswettbewerbs auf die Bühne. Heuer ist das die slowenische Sopranistin Maja Triler.
Die „ZukunftsStimmen“ zu unterstützen ist ein „Herzensprojekt“ für Garanča. Denn die Mezzosopranistin weiß, wie beinhart das Opernbusiness ist – und dass es zuletzt wohl noch härter geworden ist.
KURIER: Sie haben gesagt, Sie seien gar nicht so sicher, ob Sie unter den heutigen Umständen eine Karriere als Opernsängerin einschlagen wollen würden. Ist das nicht ein Alarmsignal für die Branche, wenn ein so großer Star wie Sie an den Bedingungen zweifelt?
Elīna Garanča: Ein Alarmsignal muss ja nicht immer etwas Negatives sein. Es kann auch heißen: Man muss wach sein und den Bedingungen ins Auge schauen, um nicht mit falschen Träumen und Erwartungen in dieses Geschäft einzusteigen.
Was hat sich verändert?
Die Auftritte ganz am Anfang meiner Karriere wurden nicht sofort am Handy aufgenommen und auf Facebook gestellt. Man hatte viel mehr Zeit, mit eigenen Gedanken unterwegs zu sein. Gerade die klassische Musik braucht jahrelange Übung und langweiliges Proben. Dieser altmodische Zugang ist nicht so einfach in dieser schnelllebigen Welt. Ich bin eine Romantikerin, ich glaube an die heilige Kunst in der Form, die wahrscheinlich in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren stattgefunden hat. Aber ein Jahrtausendwende-Kind, das jetzt zu singen beginnt, kennt ja vieles davon nicht mehr. Und deswegen sage ich: Ja, es ist ein wunderbarer Beruf. Aber ihr müsst euch bewusst sein, dass der heutige Alltag anders ist als vor 50 Jahren.
Und auf den sozialen Medien verbreitet sich rasant, wenn eine junge Sängerin mal einen Ton danebenhaut.
Genau, man braucht ein viel stärkeres Immunsystem im Kopf, ein Schutzsystem. Wir konnten am Anfang noch eine Art Inkognito-Leben genießen.
Auch die Opernkritik hat sich verändert, oder?
Es ist sehr oberflächlich geworden. Alle sind „Jahrhundertstimmen“, „Ausnahmetalente“ und „Erscheinungen“. Die Besonderheit des einzelnen Talentes hat sich verlaufen. Wir sagen alle, dass wir keine Kritiken lesen, weil wir arrogant sein wollen und nicht den Kritikern die Macht geben wollen, dass wir abhängen von dem, was geschrieben wird. Aber es interessiert mich, was die Leute wie wahrgenommen haben.
Das ist einem dann schon wichtig?
Natürlich sind wir alle kleine Narzissten, sonst würden wir nur im Badezimmer singen. Wir wollen auf die großen Bühnen. Ich weiß inzwischen, dass mein bestgesungener Abend nicht immer der bestkritisierte wird. Und manchmal denke ich, also heute warte ich lieber nicht auf den Applaus – und werde dann bejubelt und die Menschen sagen mir, das war die beste und emotionalste Vorstellung. Also diesem Zauber muss man auch erst mal gewachsen sein (lacht). Deswegen sage ich: Ich weiß selber, wie gut ich war. Auch in dem Wissen, in welchem Zustand ich selber bin. Manchmal ist man nicht ausgeschlafen, manchmal krank, manchmal zu müde, manchmal hat man Bauchweh, manchmal Kopfweh. Manchmal hasse ich die Inszenierung oder hatte zu wenig Zeit für meine Kinder.
Am 2. Juli gibt es im Benediktinerstift Göttweig zum bereits 17. Mal „Klassik unter Sternen“ mit Elīna Garanča.
Dabei gibt es eine Premiere zu erleben: Gleich zu Beginn singt sie erstmals in Göttweig „La luce langue“ aus Verdis „Macbeth“. Auch der 200. Geburtstag von Johann Strauss wird gefeiert, und französische Walzer, Arien sowie südamerikanische Rhythmen sollen zum „Tanzen und Träumen“ anregen.
Karel Mark Chichon leitet das Symphonieorchester der Volksoper Wien. „Friends“ sind Kang Wang und Iulia Maria Dan. Auch die Siegerin des „ZukunftsStimmen“-Bewerbs, Maja Triler, ist zu erleben.
Zacharias Galaviz (USA, Platz 2 bei den „ZukunftsStimmen“) und Hyejin Han (Südkorea, Platz 3), singen beim Prélude Göttweig (18 Uhr, freier Eintritt) und bei „Kitzbühel Klassik“.
Letzteres leitet „Klassik in den Alpen“ ein, das am 5. Juli erstmals vor Schloss Kaps in Kitzbühel zu erleben sein wird.
klassikuntersternen.at
Das kann man von außen nicht wissen.
Wir hängen heute so viel von Likes und Klicks und Herzchen ab, dass das, was man im Inneren trägt, als nicht mehr so wichtig gilt. Das ist bei diesem Beruf, glaube ich, der falsche Zugang.
Aber Perfektion ist ohnehin nicht immer spannend!
An Abenden, an denen man nicht in Topform ist, gibt es eine gewisse Verwundbarkeit. Und dann schaltet man die pure Emotion ein. Wir sind Hochleistungssportler. Aber gleichzeitig beeinflusst die Energie des Tages auch, wie ein Abend vom Publikum wahrgenommen wird. Manchmal geht man raus, und du weißt: Das wird heute ein wirklich schwerer Abend. Du wirst arbeiten, arbeiten, arbeiten, bis man es doch geschafft hat. Und das ist dann ein kleiner Glücksmoment.
Wie geht man mit dem eigenen Gefühlshaushalt um? Ist es schwierig, von der Bühne zu gehen und all die Emotionen abzufangen, die man da auf der Bühne gesungen hat?
Ich habe nie all diese Charaktere gespielt, die dauernd sterben. Ich glaube, die Soprane, die dann wirklich als Aidas, Violettas, Gildas und all die anderen jeden Abend tot sind, nimmt das mehr her als die Mezzosoprane. Außer Carmen und ein, zwei anderen ist man doch eigentlich immer der Gewinner des Abends (lacht). Und ich lebe zwei Leben – das der Garanča und das der Elīna, weil ich ja auch Mutter bin. Ich kann nicht eine Vorstellung bis halb drei in der Früh im Kopf herumwälzen, weil vielleicht eine Tochter schreit und ich zu ihr muss. Ich habe Gott sei Dank nie Probleme, nach der Vorstellung einzuschlafen. Ich bin eine Lerche – ich stehe jeden Tag um halb sieben, sieben auf. Und am Abend bin ich halt müde (lacht). Ich komme nach Hause, setze mich aufs Bett und unterwegs zum Kissen bin ich schon eingeschlafen (lacht).

Sie haben gesagt: Manchmal hasst man Inszenierungen. Kann man dann trotzdem Spitzenleistungen erbringen? Oder sperrt sich dann etwas in einem und man denkt sich: Eh schon wurscht?
Nein, wurscht darf einem das nicht sein – und ist es auch nicht. Aber es ist eine gewisse psycho-emotional-physische Vergewaltigung des eigenen Ichs. Manchmal steigt man ein in Inszenierungen, die mit jemandem anderen erarbeitet wurden. Und hat dann nicht mehr diesen Auseinandersetzungsprozess mit dem Regisseur, man kann nichts ausdiskutieren. Das ist schwierig, denn man hat eine eigene Vision, eine, die durch das Musikalische und das Libretto bestätigt wird. Und dann passiert irgendetwas auf der Bühne, das keinen Sinn macht. Dann bist du unzufrieden und unglücklich. Aber die armen Zuschauer können nichts dafür. Dann muss man sein Ego und seinen Narzissmus und die eigene Vision unter den Teppich kehren und sagen: Ich diene jetzt nicht mir, sondern dem Zuschauer, und versuche doch, aus diesem Esel ein Pferd zu machen (lacht).
Klingt nicht leicht.
Es ist nicht leicht. Und meistens werden wir danach auch krank. Diese Selbstüberzeugung hinterlässt schon Spuren. Und nachher sagt man sich: den Schmutz wegwaschen und vergessen.
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