Gespielt werden sie vom 26-jährigen Hollywoodschwarm Timothée Chalamet („Dune“), der seiner Hauptrolle in Luca Guadagninos Toskana-Drama „Call Me By Your Name“ den internationalen Durchbruch verdankte; und der kanadischen Newcomerin Russell Taylor, 28, die für ihre herausfordernde Rolle als bester Schauspielnachwuchs ausgezeichnet wurde.
Ein Gespräch mit dem beiden Jung-Stars über große Gefühle, erste Male und warum niemand Angst vor ihrem Film zu haben braucht.
KURIER: Thimothée, nach dem Liebesfilm „Call Me By Your Name“ im sommerlichen Italien, standen Sie nun erneut für den Regisseur Luca Guadagnino vor der Kamera. Wie anders war das zweite Mal?
Timothée Chalamet: Beim ersten Film hatte Luca etwas sehr Beschützendes. Ich war damals 20 und sehr unsicher: Ich wusste nicht, ob ich das Zeug für eine Schauspielkarriere habe. Und wir drehten in Italien, wo ich die Sprache nicht verstand. Luca kümmerte sich rührend um mich und verhielt sich wie ein Vater. Diesmal, bei den Dreharbeiten zu „Bones and All“ , war er eher der große Bruder. Wir vertrauen uns völlig und verstehen uns oft ohne Worte. In „Call Me By Your Name“ war ich auf der Suche nach mir selbst und meinem Platz in der Welt. „Bones and All“ hingegen ist viel mehr Taylors Film als meiner. Ihre Rolle als Maren und ihre Identitätssuche stehen im Mittelpunkt. Meine Figur als Lee ist da eher das Objekt der Begierde und ein Omen dafür, wohin sich ihr Leben entwickeln könnte, wenn sie ihrem Drang, Menschenfleisch zu essen, nachgeht.
Konnten Sie sich mit diesem sehr speziellen, rebellischen jungen Mann identifizieren?
Timothée Chalamet: Ich hatte anfangs meine Probleme mit der Figur und fand ihn mit seiner aufgekratzten Heißsporn-Attitüde etwas naiv. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht der Richtige bin, um so einen Draufgänger zu spielen. Da gibt es Kollegen, die dafür besser geeignet sind.
Ich habe viel mit Luca darüber geredet, weil ich interessanter fand, eine andere Seite von ihm zu zeigen – etwa, wie Lee mit der Gesellschaft und seiner Menschlichkeit hadert. Er fühlt sich als Außenseiter und hat zugleich einen starken Willen, sich selbst ausdrücken und gesehen zu werden. All dem nachzuspüren, fand ich spannend.
Russell, wie war es für Sie, zum ersten Mal mit Luca Guadagnino zu arbeiten?
Russell Taylor: Er ist ein wahrer Titan des Gegenwartskinos. Ich hatte seine Serie „We Are Who We Are“ gesehen, bevor ich wusste, dass ich einmal mit ihm arbeiten würde. Sie hat mich so umgeworfen, dass ich ihm gleich einen Brief schreiben musste. Der kam tatsächlich bei ihm an, und bald darauf bat er um ein Treffen. Es hat dann zwischen uns sofort geklickt, und er hatte von Anfang großes Vertrauen in mich. Für mich war das zuerst wie ein Schock. Wie kam er darauf, was sah er in mir? Das legte sich schnell, weil er mir ein Gefühl der Zugehörigkeit gab. Ich wurde Teil seiner eingeschworenen Wahlfamilie.
Leonardo DiCaprio hat für seine Rolle in „The Revenant – Der Rückkehrer“ rohe Leber verspeist. Wie haben Sie sich auf Ihre Rollen als Kannibalen vorbereitet? Wie spielt man das glaubwürdig?
Timothée Chalamet: Für mich war die emotionale Wahrhaftigkeit meiner Figur wichtiger als der Moment, in dem wir so tun, als ob wir Menschenfleisch essen. Luca ging es auch gar nicht um Splatter- und Schockeffekte. Als wir drehten, dachte ich an einen anderen Film, „Beautiful Boy“, in dem ich vor ein paar Jahren einen Junkie gespielt habe. Ich glaube, es gibt da viele Parallelen. Den Rausch, den Heroinabhängige verspüren, noch bevor sie sich den Schuss setzen, alleine durch die Vorfreude auf den Konsum, stellte ich mir ähnlich vor wie bei einem Kannibalen. Und auch den Kater danach, die Schuldgefühle und Selbstzweifel.
Russell Taylor: Es geht vor allem ums Überleben. Die Kannibalen haben keine andere Wahl, es ist ein Instinkt, ein unbewusstes Verlangen. Ich stellte es mir auch wie schweren Drogenkonsum vor, dem man entgegenfiebert, dann für einen kurzen Moment einen Rausch und Erleichterung erlebt, bevor dann das schlechte Gewissen einsetzt.
Wie haben Sie sich selbst den Kannibalismus erklärt? Ist es Veranlagung, Krankheit oder Fluch?
Russell Taylor: Meine Figur Maren glaubt, es von ihrer Mutter geerbt zu haben, und macht sich auf die Suche nach ihr, um ihren Drang und damit ihre Identität zu verstehen. Kann sie diesen Drang unterdrücken? Kann sie damit leben, kann sie lieben und geliebt werden oder bleibt sie für immer Außenseiterin und allein? Diese Fragen treiben sie um – und so habe ich mich auch der Figur genähert.
Timothée Chalamet: Für mich ist es eine Metapher für die Traumata, die sich von den Vorfahren auf jede neue Generation übertragen. Und manchmal lässt sich der Teufelskreis durchbrechen. Für mich ist der Film eine Fabel, ein düsteres Horrormärchen über Isolation und den Hunger nach zwischenmenschlichem Kontakt – und die Frage, wie man sich moralisch richtig verhält.
Wie würden Sie „Bones and All“ jemandem schmackhaft machen, der kein Horrorfan ist?
Timothée Chalamet: Ich würde sagen: Keine Angst! Es gibt ein paar blutige Szenen, aber es ist kein Splatterfilm. Es ist ein Liebesdrama, und es geht darum, anders zu sein, nicht akzeptiert zu werden. Unser Film handelt von Jugend und dem ersten Verliebtsein. Es geht um zwei einsame Menschen, die sich finden und versuchen, die Herausforderungen des Lebens gemeinsam zu meistern. Das hat etwas sehr Berührendes und zutiefst Menschliches. Ihre Leser und Leserinnen denken jetzt wahrscheinlich, ich hätte den Verstand verloren. Dem kann ich nur entgegnen: Schauen Sie sich den Film an, Sie werden überrascht sein!
Was haben Sie beim Dreh voneinander gelernt?
Russell Taylor: Ich habe Timothée schon lange aus der Ferne bewundert. Er ist so ein talentierter, aufmerksamer und wagemutiger Schauspieler. Wenn wir zusammen vor der Kamera standen, bin ich ganz in diesen Moment und diese Welt eingetaucht und habe alles andere ausgeblendet. Das ist mir so noch nie mit jemandem passiert. (dreht sich zu ihm): Was habe ich von dir gelernt, Timothée? Du hast mir so viel Liebe gegeben, ich fühlte mich sehr beschützt von dir. Wenn etwas nicht gleich klappte, wusstest du immer genau das Richtige zu sagen und gabst mir immer das Gefühl, dass ich dazugehöre. Ich kann mir kein größeres Geschenk vorstellen.
Timothée Chalamet: Oh, vielen Dank! Das bedeutet mir sehr viel. Russell ist unglaublich offen für den Moment vor der Kamera und dabei zugleich sehr bestimmt und klar. Sie ist eine exzellente Schauspielkollegin und weiß genau, was sie kann und will. Ich bin sehr gespannt darauf zu sehen, wie sie sich in den nächsten Jahren entwickelt.
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