Interview mit Franz Rogowski: Ein Äffchen im Kopf

Franz Rogowski lernt bei Peter Kurth (li.) die Kunst des Gabelstapler-Fahrens in dem Film „In den Gängen“
Franz Rogowski, europäischer Shooting-Star, kommt „In den Gängen“ auf Touren und zeigt ein neues Gesicht

Wer Franz Rogowski im Kino gesehen hat, wird schnell zum Fan. Seine Schönheit ist ungewöhnlich, seine lispelnde Sprache gewöhnungsbedürftig. Man sieht und hört gleich zweimal hin. Rogowski liefert seinen im Tanz geschulten Körper an seine jeweilige Rolle aus und erzielt verblüffende Unmittelbarkeit. In dem schönen Drama „In den Gängen“ arbeitet er die Nachtschichten in einem Großmarkt und verliebt sich. Derzeit im Kino.

KURIER: Sie arbeiten „In den Gängen“ als Gabelstaplerfahrer in einem Großmarkt. Das sieht ganz schön schwierig aus.

Franz Rogowski: Ich durfte schon nach fünf Minuten um die Ecke sausen, obwohl ich keinen Gabelstaplerschein hatte – und habe auch gleich ein Gewürzregal mitgenommen. Das würde im Schwabenland, wo ich herkommen, nicht passieren. Da muss man erstmal sein Diplom vorzeigen. Aber ich kann sagen: Im Gabelstapler eine Tonne Bier über dem Kopf zu balancieren und gleichzeitig einen Satz zu sagen – das ist so konkret, dass man das erst einmal hinkriegen muss. Der Stapler und die Palette Bier helfen mir mehr als method acting – weil es so real ist. Wenn du da einen Fehler machst, dann war’s das.

Inwiefern hilft Ihnen das?

Man ist ja beim Spielen immer auf der Suche nach einem echten Moment. Der ist natürlich nicht „echt“ echt, aber etwas muss passieren. Ich kann ja nicht vor mich hinlügen, und nichts passiert. Aber das ist ja das Komische am Schauspiel: Man behauptet etwas, und der Partner, mit dem man spielt, behauptet auch etwas. Trotzdem muss eine Wirklichkeit daraus entstehen. Und da ist so ein Stapler so wirklich wie sonst fast gar nichts.

Stimmt es, dass Sie Fahrrad-Kurier werden wollten und dann Tanz und Schauspiel lernten?

Ich war in der Tanzausbildung und wollte Maler werden, was aber nicht klappte, und danach Straßenmusiker. Und dann wollte ich Fahrrad-Kurier werden. Ich hatte einen Lebenslauf mit einem Foto von mir mit Fahrrad im Arm. Als besondere Fähigkeit gab ich an, dass ich sehr sportlich bin und seit dem Alter von zwei Jahren Fahrrad fahre. Abends habe ich dann auf einer Party eine Freundin aus meiner Zeit aus der Tanzausbildung getroffen, die meinte, ich sollte mich bei einem Casting an der Schaubühne für ein Tanzstück bewerben. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt eineinhalb Jahre nicht mehr getanzt und wurde dann als einziger genommen. Ich glaube, der Regisseurin gefiel, dass ich mit einem Fahrrad-Kurier-Lebenslauf ankam.

Warum ausgerechnet Fahrrad-Kurier?

Ich verbinde mit Fahrrad Freiheit und Unabhängigkeit, und ich empfinde dieses Gegen-alle-Regeln-im-Straßenverkehr-Überleben als großes Glück. Ein Glücksmoment, auf den ich mich so richtig verlassen kann, ist der Moment, wenn ich auf das Fahrrad steige und losfahre. Wenn ich das mit ins Auto setzen und losfahren vergleiche – das ist ja grauenhaft.

Interview mit Franz Rogowski: Ein Äffchen im Kopf

Franz Rogowski: "Immer auf Null gestellt"

Kam der Wechsel vom Tänzer zum Schauspieler eher zufällig oder bewusst gewählt?

Unbedingt. Ich wollte mein Spektrum erweitern und empfinde mich heute als sprechender Tänzer.

„In den Gängen“ wurde im „echten“ Großmarkt gedreht. Wie war dort die Atmosphäre?

Wir wurden von zwei Großmärkten vorbehaltlos und freundlich aufgenommen, die beide in Betrieb waren. Tagschicht war Dienst und Kundschaft da, Nachtschicht war Dreh. Der Markt stand nie still. Es war toll. Wir sind in ein eigenes Biotop abgetaucht – wie Fische im Aquarium.

Der Schauplatz des Films ist Bitterfeld in Sachsen-Anhalt und gilt als Inbegriff ehemaliger DDR-Tristesse. Stimmt das?

Bitterfeld war die Chemiehochburg, wo auch viele pharmazeutische Erzeugnisse produziert wurden. Dadurch gab es bestimmte Zeiten, wo man die weiße Wäsche nicht hinaushängen durfte, weil sie danach gelb oder braun aussah. Dementsprechend sahen die Lungen aus. Man merkt heute noch, dass die Stadt von einer riesigen Industrie geprägt ist, die es so nicht mehr gibt. Ich würde es aber nicht als Tristesse bezeichnen, sondern eher als Poesie. Unser Film hat nicht den Anspruch, ein Sozialdrama zu sein, sondern will ein poetisches Märchen erzählen. Wir möchten die Schönheit zeigen in dieser Welt.

Regisseur Christian Petzold, in dessen Film „Transit“ Sie ebenfalls die Hauptrolle spielten, meinte, er hätte beim Schreiben an Jean-Paul Belmondo gedacht und dann Sie besetzt.

Der Vergleich liegt auf der Hand. (bleibt bemüht ernst)

Amerikanische Kritiker haben Sie als den teutonischen Cousin von US-Schauspieler Joaquin Phoenix bezeichnet. Wie finden Sie diese Vergleiche?

Ich selber tu’ mir natürlich mit Vergleichen schwer. Aber Joaquin Phoenix ist ein Schauspieler, der mich schon lange begeistert. Ich würde aber niemals versuchen, ihm nachzueifern, weil er ein ganz anderer Spieler ist. Ich kann andere Sachen. Querverbindungen zu schaffen ist ein kreativer Vorgang, aber ich fühle mich referenzfrei im Kopf.

Was inspiriert Sie?

Meine Mutter sagt, das Unterbewusste ist mächtig. Ich nehme alle Sachen auf, doch verdaut wird dann woanders, und der Küchenchef bin auch nicht ich. Das Süppchen kommt dann irgendwann, und diesen Prozess kann ich nicht willentlich steuern. Ein Beispiel: Dieser Moment in Michael Hanekes „Funny Games“, wo die Mutter des erschossenen Kindes versucht, den Raum zu verlassen – dieser Moment ist für mich Kinogeschichte und wird mich immer begeistern. Ich würde trotzdem niemals eine Szene spielen und dabei daran denken, um mich irgendwie zu bereichern. Ich bin eigentlich immer auf Null. In meinem Kopf ist ein Äffchen mit zwei Schellen und macht dong, dong, dong. Und das ist die Wahrheit.

Apropos Haneke: Sie spielen in Hanekes „Happy End“ den Sohn von Isabelle Huppert. War das international so etwas wie Ihre Durchbruchsrolle?

Für mich, in meiner eigenen Realität, war der Durchbruch am meisten spürbar in der Tragikomödie „Frontalwatte“, die keiner kennt. Da habe ich mich selbst erstmals als riesig großes Abbild auf der Leinwand gesehen und gedacht: „Das ist jetzt aber krass.“

Woher nehmen Sie Ihre Lust zu spielen?

Aus der Angst zu versagen. Auch aus Neugier natürlich, etwas auszuprobieren, was man noch nicht kennt. Die Figuren sind ja immer Teil von einem selbst, gleichzeitig sind sie aber auch fremd, weil sie die Dinge immer anders machen als man selbst. Dadurch kann man zu einem bestimmten Zeitraum Dinge erleben und tun, die man als Privatmensch so nicht erleben darf. Das ist ein großes Geschenk.

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