Gedreht wurde in einer ehemaligen Sargfabrik, in deren kargen Räumlichkeiten ein Studio mit nur wenigen Requisiten eingerichtet wurde: Ein paar Sessel, ein Klavier und besagte Couch, „die Hauptdarstellerin“, wie Ruth Beckermann zum KURIER halb im Scherz meint.
„Hoffentlich muss ich nicht die Mutzenbacher spielen“, witzelt ein Mann und lässt sich auf dem „Erotiksofa“, wie er es nennt, nieder: „Reizen würde mich es schon.“ Wie er denn die Pepi anlegen würde, fragt Ruth Beckermann, die während des Filmes niemals im Bild zu sehen ist, aus dem Off: „Komplex“, lautet die Antwort.
Schon im Vorspann von „MUTZENBACHER“ wird darauf hingewiesen, dass der Roman „Josefine Mutzenbacher“ – anonym erschienen 1906 – bis zum Jahr 1968 verboten war: „In einer Zeit sexueller Tabus wurde das Buch von Generationen als befreiende und aufklärende Lektüre gelesen.“ Allerdings werde der Roman „wegen seiner lustvollen und missbräuchlichen Darstellung kindlicher Sexualität bis heute kontrovers diskutiert“, heißt es weiter, und: „Gleichzeitig gilt er als pornografische Literatur von Weltrang.“
Ruth Beckermann besteht darauf, dass das Buch ist, was es ist – „ein Roman, eine Fantasie“, geschrieben, „um die Fantasie von Männern anzuregen“: „Heute könnte und wollte man das natürlich nicht mehr so schreiben. Da die ,Mutzenbacher‘ aber auch so amüsant, so absurd und so übertrieben geschrieben ist, ist schon sehr klar, dass es sich um eine Fantasie handelt. Ich konfrontiere die Männer mit diesem historischen Text, um die Ähnlichkeiten und die Unterschiede zu damals zu sehen und herauszufinden, was sie heute denken.“
Tatsächlich wird die rosa Couch zu einer Art Therapiecouch, wenn Männer aller Altersgruppen, angespornt von der pornografischen Steilvorlage, über ihre eigenen intimen Erfahrungen nachzudenken beginnen oder Schamgefühle offenlegen.
Ein älterer Herr beklagt sich bitter darüber, dass heutzutage nur noch von „toxischer Männlichkeit“ die Rede sei und „die Frauen keine Lust mehr an den Männern haben“. Ein junger Bursche wiederum erzählt, dass die pornografische Bilderflut im Internet Männer seiner Generation unter Druck setze und vorschreibe, wie sie im Bett zu „performen“ habe.
Gruselig wird es, wenn einer der Herren mit Verve eine Stelle vorliest, die explizit von Inzest handelt, und sie mit den Worten kommentiert: „Geil. Schön. Inzest. Natürlich.“
Warum schweigt die Regisseurin zu dieser Aussage?
„Das war natürlich hart“, gibt Ruth Beckermann zu: „Natürlich gab es Momente, wo ich geschluckt habe. Aber wenn ich einen Film mache, will ich niemanden beurteilen, und schon gar nicht verurteilen. Mich interessiert das breite Spektrum an Männern. Wenn Sie sich an meinen Film ,Jenseits des Krieges‘ erinnern, wo ich Besucher befrage, die sich gerade die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht anschauten: Da fielen unglaublich verharmlosende Sätze zu den Nazi-Verbrechen – und da gab es für mich viel mehr Schockmomente als in meinem jetzigen Film. Damals habe ich aber auch viel gelernt: Es geht nicht darum, meine Meinung zu sagen. Stattdessen finde ich es spannend, zu sehen, wie das Publikum auf das Gesehene reagiert. Das will ich nicht durch meine eigene Meinung vorwegnehmen.“
Insbesondere die Schauspielkraft der Bewerber sei höchst beeindruckend: „Ich finde, dass die Männer toll vorlesen“, schwärmt die Regisseurin: „Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, dass so ein Film in Deutschland gemacht worden wäre. Denn die Wiener oder die Österreicher haben ein unglaublich performatives Talent. Wir haben nichts geprobt.“
Ganz besonders mag Beckermann an der „Mutzenbacher“ die wienerische Sprache, den Schmäh, die Ausdrücke: „In diesem Roman ist noch ein Wien spürbar, das es nur noch rudimentär gibt.“
Oder kennt noch jemand das Wort „petschieren“?
Übrigens: Nach dem neuesten Stand der Wissenschaft stammt die „Mutzenbacher“ höchst wahrscheinlich doch nicht von „Bambi“-Autor Felix Salten, weiß Ruth Beckermann: „Man glaubt, dass Karl Kraus dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat. Er hat Felix Salten gehasst.“
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