Interview mit Barry Jenkins: Was war so „great“ in Amerika?

Regisseur Barry Jenkins (Mitte) inszenierte seine Hauptdarstellerin KiKi Layne als Tish in seiner Baldwin-Verfilmung „Beale Street“
Oscarpreisträger Barry Jenkins über seine gefühlvolle Verfilmung von James Baldwins großem Roman „Beale Street“.

Ein bisschen fühlte sich Barry Jenkins schon um seinen großen Oscar-Moment betrogen. Er war es, der im Jahr 2017 den Höchstpreis für „Moonlight“ als besten Film erhalten sollte, doch die Briefkuverts wurden vertauscht. Irrtümlich verkündete Warren Beatty „La La Land“ als besten Film. Erst danach konnte man das Missverständnis aufklären – und Barry Jenkins erhielt den Oscar für „Moonlight“.

Mit seinem neuen Werk „Beale Street“ (derzeit im Kino) hatte der 39-jährige US-Regisseur weniger Stress. „Beale Street“, eine Romanadaptierung des großen afro-amerikanischen Schriftstellers James Baldwin, erhielt heuer keine Oscarnominierung. Das war insofern verblüffend, als Jenkins’ farbensattes Melodram aus dem Harlem der 70er-Jahre euphorische Kritiken erhalten hatte. In „Beale Street“ erzählt Jenkins mit innigem Pathos von einem jungen Liebespaar, das brutal auseinandergerissen wird, nachdem der junge Mann fälschlicherweise der Vergewaltigung bezichtigt und ins Gefängnis geworfen wird.

Beale Street

KURIER:  Mr. Jenkins, Sie haben gesagt, die Bücher von James Baldwin haben Sie gelehrt, was es bedeutet, als schwarzer Mann zu leben. Inwiefern?

Barry Jenkins: Als ich die Literatur von James Baldwin entdeckte, hatte ich noch nicht sehr viele Bücher gelesen. Geschichten über Schwarze waren für mich ein neues Erlebnis, zumal ich damals nur Storys von berühmten Schwarzen wie Martin Luther King oder Jesse Owens kannte. Aber dass jemand über ganz normale, alltägliche schwarze Menschen in einer noch dazu unglaublich intensiven Sprache erzählen konnte, machte für mich die Kraft von James Baldwins Bücher aus. Damals habe ich mich in seine Literatur verliebt.

James Baldwin hat sehr viel geschrieben. Warum haben Sie sich diesen Roman ausgesucht?

Es stimmt, eigentlich ist „Beale Street“ nicht mein Lieblingsbuch; das wäre „Giovanni’s Room“. Doch das Tolle an „If Beale Street Could Talk“ besteht darin, dass es von zwei sehr starken Stimmen Baldwins geprägt ist: Einerseits zeigt es die zarte, romantische Seite von ihm, die sich in der Liebesgeschichte von Fonny und Tish findet; andererseits hört man auch die bittere Seite, die von sozialer Ungerechtigkeit und deren Auswirkungen auf Schwarze erzählt. In Amerika gibt es keine schwarze Person, die davon nicht betroffen ist. Selbst ich als sogenannter „Hollywood-Regisseur“ bin tagtäglich damit konfrontiert.

Kürzlich erschien eine Doku über James Baldwin, nun kommt Ihr neuer Film – gibt es so etwas wie eine Renaissance?

Baldwins Buch wurde vor 45 Jahren geschrieben und ist heute noch brandaktuell. Jetzt, wo es in Amerika heißt „Make America Great Again“, fragen wir uns: Was war eigentlich so „great“ in Amerika? Und dann gehen wir zu schwarzen Schriftstellern wie Toni Morrison und James Baldwin zurück, die davon berichten, dass es in der Vergangenheit gar nicht so toll war. Bis heute nicht.

Ihre Bilder in „Beale Street“ sind sehr ästhetisiert, pathosschwer und manchmal am Rande zum Kitsch. Warum?

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KiKi Laye und Stephen James als Liebespaar Tish und Fonny

Mein Film reflektiert den Zustand der Hauptperson, einer 19-jährigen, die durch eine Art Fegefeuer geht und sich an die intensivsten Momente ihres Lebens erinnert. Dazu gehören die schönsten Augenblicke – ihre große Liebe, der erste Sex –, aber auch die grauenvollen Momente, wenn sie einem rassistischen weißen Polizisten ausgeliefert ist oder ihr Verlobter unschuldig im Gefängnis landet. Die Farben meiner Bilder ändern sich – werden lichter oder düsterer – je nach ihrer Befindlichkeit. Die Höhen und Tiefen sind sehr stark, fast wie in der Oper.

Haben Sie das Gefühl, dass sich mit dem Erfolg von Blockbustern wie „Black Panther“ Veränderungen in der Filmindustrie abzeichnen?

Auf jeden Fall. „Black Panther“ hat allein in den USA  rund 700 Millionen Dollar eingespielt. Dort macht die schwarze Bevölkerung allerdings nur 13 Prozent aus, also müssen sehr viele verschiedene Menschen diesen Film gesehen haben. Für mich ist „Black Panther“ ein Vorreiter, der die unterschiedlichsten Leute zusammen bringt. Obwohl er ein Fantasy-Film ist, erzählt er von schwarzer Kultur. Selbst Menschen, die sich eigentlich überhaupt nicht für Schwarze interessieren, haben sich „Black Panther“ angeschaut und sind jetzt vielleicht offener für deren Geschichten.

Können Sie sich vorstellen, auch Filme über Weißen zu drehen?

Klar, damit hätte ich kein Problem. Ich habe auch schon Drehbücher geschrieben, in denen keine Schwarzen vorkommen. Ehrlich gesagt, würde es mir womöglich leichter fallen, einen Film über Weiße zu machen, als es umgekehrt für Weiße wäre, einen Film über Schwarze zu machen. Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in denen einem im Fernsehen andauernd Geschichten über Weiße erzählt wurden, von „The Brady Bunch“ („Drei Mädchen und drei Jungen“) angefangen. Als Schwarzer ist man gezwungen, durch die Welt der Weißen zu navigieren. Und speziell die Medien-Welt ist sehr weiß. Insgesamt aber würde ich lieber Geschichten von Schwarzen erzählen, weil es von denen noch nicht so viele gibt.

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