Interview mit Katharina Mückstein: Die Ordnung auf den Kopf stellen
Regisseurin Katharina Mückstein trat die #MeToo-Welle in der heimischen Filmbranche los und begeisterte mit ihrer Doku „Feminism WTF“ das Publikum in Graz
Eine Meinung dazu reicht aus, um Experte oder Expertin zu sein. Und jeder kann mitreden und sich aufregen.
Das habe sie schon immer sehr ärgerlich gefunden, sagt Katharina Mückstein im KURIER-Interview während der Diagonale in Graz: „Man hat das Gefühl, dass Feminismus ein Stammtischthema ist. Gerade in den Mainstream-Medien werden – wenn überhaupt – feministische Themen immer ohne Expertise verhandelt.“
Besonders deutlich zeigte sich ihr diese Tendenz, als die erste #MeToo-Welle aus den USA nach Österreich schwappte: „Sie wurde in den Diskussionen als Streit unter Frauen inszeniert, die dazu verschiedene Meinungen haben. Es kamen überhaupt keine Expertinnen zu Wort, die zum Beispiel über Statistiken und sexuelle Gewalt sprechen oder Schweigesysteme erklären konnten. Sehr oft dient Feminismus einfach nur als Reibungsfläche für Aufregungsspiralen.“
Was die Aufregungsspirale betrifft, weiß die ehemalige Haneke-Schülerin und mehrfach ausgezeichnete Regisseurin („L’Animale“), wovon sie spricht. Mit einem Instagram-Posting über sexuelle Übergriffe in der heimischen Filmbranche hat Mückstein der #MeToo-Welle zu neuer Breitenwirkung verholfen.
Und dementsprechend auch für Aufregung gesorgt. Mit ihrer Doku „Feminism WTF“ (ab Freitag im Kino) will sie nun „auf sachliche und selbstbewusste Weise zusammenfassen, womit sich Feminismus 2022 befasst.“
Mückstein hat dazu unterschiedliche Expertinnen und Experten vor ihre Kamera geholt, die Aspekte von Gegenwartsfeminismus darlegen.
Zentrales Stichwort: Intersektionalität.
Ein Wort, das schwierig klingt, aber die Türe zu neuen Denkräumen aufstößt. Denn wenn es um Diskriminierung geht, ist Geschlecht bei Weitem nicht das einzige Kriterium, wonach Menschen schlechter behandelt werden: Hautfarbe, Klassenzugehörigkeit, Alter, aber auch Fragen wie Behinderung oder chronische Krankheiten – „Das sind alles Faktoren, die dazu beitragen, Menschen auszuschließen“, so Mückstein.
Mit Witz
Nun ist „Feminism WTF“ aber keineswegs eine fade Nachhilfestunde, sondern eine aufschlussreiche und verspielte Zusammenschau feministischer Positionen. Zwischen Interviewpassagen performen Tänzer und Tänzerinnen coole Choreografien, in denen Geschlechterstereotypen mit Witz hinterfragt werden. So windet sich etwa ein geschminkter Mann in der verführerischen Aufmachung einer Cheerleaderin eine Bürotreppe hinauf.
Gedreht wurde in einem leer stehenden Bürogebäude im 23. Bezirk in Wien, in dessen devastierten Räumen die Experten und Expertinnen Auskunft geben: „Das Bürogebäude wird zu einem interessanten Bild für unsere Gesellschaft“, erklärt die Regisseurin: „Man denke nur an den Begriff der Chefetage: Es gibt Tanzszenen auf den Treppen, in denen es die tanzende Person die Stiegen ,hinaufschafft’ oder wieder herunterstürzt. Hier werden Momente von gesellschaftlichem Aufstieg und Abstieg thematisiert, die ja unser Zusammenleben stark dominieren.“
Zudem bekam jede Person im Interview ein eigenes Set mit einer eigenen Farbe zugeteilt. Formschöne Bilder in sorgfältig orchestrierten Pastellfarben bestechen das Auge: „Hinter der bunten Farbwahl stand die Idee des Regenbogens. So viele Farben, wie man in der Welt entdecken kann, so viele Formen von Feminismus gibt es. “
Propaganda
Mückstein bezeichnet „Feminism WTF“ als Propaganda-Film. Immer noch wirke das Klischee von Feministinnen als lustfeindlichen und verhärmten Frauen nach: „Es braucht diese Propaganda, die sagt: Leute, Feminismus ist nichts Schmutziges. Feminismus ist das, was unser Überleben sichern kann.“
Und auch, wenn feministische Anliegen für Aufregung sorgt – man denke nur an die hitzigen Debatten rund um Gender-Schreibweisen: „Ich finde es okay, wenn sich Leute aufregen. Meine Mutter hat oft gesagt: Wenn man sich mit etwas nicht unbeliebt macht, ist es kein Feminismus. Und ich glaube, so ist es. Der Feminismus will nicht weniger, als die gesellschaftliche Ordnung auf den Kopf zu stellen. So wie es ist, kann es nicht bleiben. Es braucht krasse Veränderungen.“
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