Interview: Rupert Everett als extravaganter Wilde

Rupert Everett als Oscar Wilde: "The Happy Prince"
Rupert Everett spielt als Oscar Wilde die Hauptrolle seines eigenen Films: „The Happy Prince“.

Rupert Everett, der schwule Freund von Julia Roberts in dem Komödien-Hit „Die Hochzeit meines besten Freundes“, hat sich ein Herzensprojekt erfüllt. Er verfilmte die letzten Lebensjahre des berühmten Schriftstellers und Bühnenautors Oscar Wilde, nachdem dieser nach seiner zweijährigen Gefängnisstrafe für Homosexualität ins Exil geflohen war.

Mit sich selbst in der Hauptrolle von „The Happy Prince“, brilliert Everett als brillant witziger, ironischer und selbstzerstörerischer Oscar Wilde, der trotz Krankheit und Verarmung seinen extravaganten Lebensstil beibehält. Für Rupert Everett wurde das Regiedebüt, das acht Jahre in Anspruch nahm, selbst zur Lebensprüfung. Ein Gespräch über Selbstzerstörung, Katholizismus und Schuldgefühle.

KURIER:Herr Everett, Sie haben acht Jahre an „The Happy Prince“ gearbeitet. Inwiefern hat sich in dieser Zeit Ihre Perspektive verändert?

Rupert Everett:Tja, es begann als geplanter Karrieresprung und endete in einer Erfahrung auf Leben-und-Tod (lacht). Als ich mit dem Schreiben begann, war ich elf Jahre jünger und hatte schon in mehreren Oscar-Wilde-Filmen gespielt. Darin war ich sehr erfolgreich, und ich dachte, Wilde wäre eine gute Rolle für mich. Die anderen Filme enden alle damit, dass er ins Gefängnis kommt, aber ich wollte einen Film machen, der damit beginnt, dass er aus dem Gefängnis herauskommt. Ich begann zu schreiben, und gleichzeitig starb mein Vater. Das hat mich sehr beeinflusst.

Inwiefern hat Sie der Tod Ihres Vaters beeinflusst?

Als mein Vater im Sterben lag, verbrachte ich sehr viel Zeit mit ihm. Es war, als würde man einem Eisberg beim Schmelzen zusehen. Wenn das Gehirn langsam aufhört, zu arbeiten, setzen große Veränderungen ein. Die Perspektiven des Sterbenden beginnen zu verschwimmen: Er kann nicht mehr unterscheiden, ob etwas sehr weit entfernt oder sehr nah ist. Das Zimmer schrumpft oder macht sich ganz weit. Das hat mich zu der Idee inspiriert, einen Film über Oscar Wilde in einem Raum zu machen, der sich zu verändern beginnt – im Gleichklang damit, wie seine Erinnerungen nachlassen und sein Herz immer schwächer wird. Ich schrieb also das Drehbuch und sendete es zu Scott Rudin, einem berühmten US-Produzenten. Er rief mich an und sagte, er liebe mein Drehbuch. Dieser Moment war der glücklichste. Ich war euphorisch und dachte: „Na bitte, geht doch!“ Doch am nächsten Tag rief er wieder an und meinte: „Übrigens, ich will nicht, dass du den Oscar Wilde spielst, sondern Philip Seymour Hoffman“. Ab dann ging’s bergab. Die Jahre vergingen, ich wurde immer älter. Ich nahm keine anderen Rollen mehr an, weil ich glaubte, „Happy Prince“ würde gleich stattfinden – und nichts geschah. Irgendwann wurde es richtig ungut, und ich dachte: Wenn ich nach sieben Jahren Wartezeit diesen Film nicht hinkriege, bringt er mich noch um. Ich glaube, ich habe ihn schließlich aus reiner Verzweiflung gedreht.

Hatten Sie von Anfang an geplant, Regie zu machen?

Nein, allerdings habe ich drei Jahre lang niemanden gefunden und schließlich selbst übernommen. So gesehen hatte die ewig lange Vorbereitungszeit auch ihr Gutes, weil ich den Film in- und auswendig kannte.

Was fasziniert Sie so an Oscar Wilde?

Ich finde, er hat einfach fantastische Aussagen getroffen. Wenn er zum Beispiel schreibt: „Warum laufen wir in unseren Ruin? Was fasziniert uns daran?“, finde ich das sehr bezeichnend für ihn. Die Obsession mit dem eigenen Untergang ist faszinierend und berührend. Wilde ist sehr selbstzerstörerisch. Ich selbst bin zu bourgeois für den Ruin – im letzten Moment würde mich immer etwas zurückhalten. Aber für Oscar Wilde empfinde ich eine tiefe Liebe.

Halten Sie Selbstzerstörung für eine „typisch“ künstlerische Eigenschaft?

Wahrscheinlich schon, wobei es Künstler gibt, die sich sehr gut zu bewahren wissen. Picasso zum Beispiel, der ist nicht in seinen Ruin gelaufen, sondern zur Bank. Und er wurde sehr, sehr alt. Als Wilde auf dem Höhepunkt seines Ruhms stand, flirtete er mit der Unterwelt – solange, bis sie zu seiner eigenen Welt wurde. Im Exil bestanden seine Freunde aus Kleinkriminellen und dergleichen. Seine alte, mondäne Welt war verschwunden. Ab dem Zeitpunkt verlor er seine Kreativität. Er sagte selbst, er habe geschrieben, als er noch nichts vom Leben wusste; und als er das Leben kennenlernte, blieb nichts mehr zum Schreiben übrig. Aber er ließ sich nie zum Opfer machen. Auch, als er alles verloren hatte, machte er weiter, und das finde ich sehr bewunderungswürdig.

Sie erzählen, dass Oscar Wilde am Ende zum Katholizismus konvertierte.

Das tat er auch. Und er hatte einen Jesus-Komplex.

Sind Sie selbst religiös?

Ich wurde sehr katholisch erzogen, sang im Knabenchor und fühlte mich andauernd schuldig. Ab dem Alter von sieben Jahren mussten wir zur Beichte schreiten. Als ich begann, mit anderen Buben in der Schule Affären zu haben, wusste ich, dass es eine Sünde ist, die ich beichten muss. Ich ging zum Priester und sagte: „Ich war vulgär.“ Und er meinte: „Das ist nicht so schlimm, bete drei Ave Maria.“ Und so ging das immer weiter, bis der Priester schließlich fragte, was es mit dem Vulgärsein auf sich habe, so schlimm sei das doch gar nicht, aber ich insistierte: „Doch, das ist es!“ (lacht schallend). Ich war der typische Katholik mit Schuldgefühlen.

Wie modern war Oscar Wilde?

Ich glaube, er ist zeitlos. Die Schwulenbewegung beginnt mit Oscar Wilde. Vor Wilde existierte Homosexualität nicht einmal als Wort, geschweige denn, dass man es diskutiert hätte – und schon gar nicht mit Frauen. Mit ihm fing die Diskussion an – er ist eine entscheidende Figur an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert. Seitdem hat sich unglaublich viel verändert und wir haben viel erreicht – er wäre fassungslos, wenn er wüsste, dass man heute als Mann einen Mann heiraten darf.

Weil Sie von Veränderungen sprechen: Wie gehen Sie mit der Schnellebigkeit unserer Zeit um?

Die Welt bewegt sich derartig rasant, dass man ab einem gewissen Alter denkt: „Um Gottes Willen, nächstes Jahr weiß ich womöglich gar nicht mehr, wie man lebt.“ Aber es ist absolut sinnlos, dem Vergangenen nachzutrauern und zu jammern, dass es früher anders war. Man muss die Vergangenheit vergessen, jeden Tag von Null beginnen und versuchen, sich der Gegenwart anzupassen. Was mich betrifft, so möchte ich so lange wie möglich im Spiel bleiben.

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