Interview mit Corinna Harfouch: Klavierspielerin außer Dienst
Ihren 60. Geburtstag möchte Lara mit Selbstmord begehen. Schon hat sie den Sessel zum Fenster gerückt, als es an der Tür klingelt.
Regisseur Jan-Ole Gerster, der mit seinem Erstlingsfilm „Oh Boy“ einen Hit landete, erzählt in „Lara“ (derzeit im Kino) einen Tag aus dem Leben seiner eisigen Titelheldin. Laras einziger Sohn (gespielt von Tom Schilling) gibt am Tag ihres Geburtstages ein Klavier-Konzert, zu dem er sie nicht eingeladen hat. Sie selbst war seine Lehrerin, hat ihn aber mit ihrem Perfektionismus verunsichert und entfremdet.
Die großartige Corinna Harfouch spielt die kalte Lara mit unbeirrbarer Entschlossenheit und denkt im KURIER-Gespräch über Kinder, Klischees und Isabelle Huppert nach.
KURIER: Frau Harfouch, Regisseur Jan-Ole Gerster meinte, dass er ohne Sie „Lara“ gar nicht hätte drehen können. Waren Sie auch gleich so von Ihrer Rolle überzeugt?
Corinna Harfouch: Zunächst hat mich angesprochen, dass Jan-Ole mir das Angebot gemacht hat, weil ich seinen ersten Film „Oh Boy“ so bemerkenswert fand. Wir haben uns getroffen und sofort einen tiefen Draht zueinander gefunden. Deshalb war für mich das Hauptabenteuer die Zusammenarbeit mit ihm. Zudem hat mich berührt, dass dieser junge Mann, der ungefähr im Alter einer meiner Söhne ist, sich für eine ältere Frau interessiert und versucht, in ihr Leben einzutauchen. Das fand ich schon ungewöhnlich. Vielleicht hätte ich sonst die Rolle gar nicht angenommen. Ich war nämlich ein bisschen auf der Spur, dass ich (seufzt) auch einmal etwas Lustiges spielen will, und darüber traurig bin, dass mir das nicht an der Nasenspitze angesehen wird (lacht).
Sie spielen eine Frau, die von ihrer gesamten Umgebung stark abgelehnt wird. Mochten Sie selbst diese Figur?
Ich habe mir für mich eine Art kleiner Mutter-Sohn-Biografie ausgedacht und aufgeschrieben – beispielsweise in Briefen, die sie dem Sohn früher geschrieben haben könnte. Ich hatte das Gefühl, dass dieser emotionale Missbrauch, der letztendlich stattfindet, daraus entsteht, dass sie ihn nicht gehen lassen kann. Er ist einfach der engste, liebste Mensch in ihrem Leben und sie hat alles in ihn hineinprojiziert. Sie liebt ihn und benötigt ihn viel mehr, als gut ist. Sie macht ihn nicht frei, weil sie nicht stark genug ist, ihn weggehen zu lassen. Dieser Konflikt hat mich gerührt und inspiriert.
Nun ist das auch ein Klischee: Die Frau als eine Art „Eislaufmutter“, die keine Karriere machte und alles in ihr Kind hineinsteckt. Wie haben Sie das empfunden?
Ja, es wird einem oft ein Haufen Klischees vorgesetzt, und man muss das Eigentliche, das ganz Persönliche, das Nicht-Exemplarische suchen. Ich meine, hier konnte man es finden.
Lara versetzt ihrem talentierten Sohn immer wieder einen Dämpfer, etwa, indem sie ihm kurz vor seinem Konzert sagt, dass sie seine Komposition nicht gut findet. Ist sie auf seine Karriere eifersüchtig?
Ich würde sagen, diese Auseinandersetzung mit ihm ist sehr ambivalent. Der Zeitpunkt, wo sie ihn kritisiert, ist ausgesprochen brutal und ungünstig, und das müsste sie eigentlich wissen. Doch die Art und Weise, wie sie versucht mit ihm zu sprechen – ich würde sagen, sie nimmt ihn ernst. Sie hat eine bestimmte Vorstellung von Qualität, und sie kann nicht aus ihrer Haut heraus. Aber es ist kein Kalkül. Sie macht alles falsch, aber sie ist, wenn sie mit ihrem Sohn zusammen ist, pur und unverstellt.
Das ist auch insofern interessant, weil heutzutage Eltern ihre Kinder in allem loben und bestärken. Ihre Figur aber ist hart, aber auch ehrlich mit dem Sohn.
Das sehe ich auch so. Ich finde, dass diese Art von Gespräch bedeutet: Man ist mit jemandem auf Augenhöhe – in dem Fall mit meinem Kind. Sie ist nicht vorsichtig und sie ist an der Sache interessiert. So redet sie mit ihm. Dass das der vollkommen falsche Zeitpunkt ist, das ist das Tragische daran.
Lara selbst ist an ihrem strengen Klavierlehrer gescheitert, der gemeint hat, sie habe nicht genug Talent.
Der Lehrer sagt ihr später, dass er das zu allen seinen Schülern gesagt hat – und das empfindet man als sehr grausam. Laras Persönlichkeit war daran Schuld – wenn man von Schuld sprechen kann – sich so sehr davon beeindrucken zu lassen und aufzuhören. Das lag an ihrem tiefen Ernst und auch daran, dass sie sich als Kind mit dem Klavierspiel aus ihrer Umgebung und ihrer Familie herauslösen wollte, die ihr Spiel als Geklimper abtat. Was ich daran so traurig finde, ist, dass dann etwas in ihr stehen geblieben ist. Sie hat sich verkapselt und konnte sich nicht weiter entwickeln. Das ist meistens der Punkt, weshalb Leute etwas, was ihnen selbst widerfahren ist, wiederholen müssen.
Spielen Sie eigentlich selbst auch Klavier?
Ich spiele nicht Klavier und kann keine Noten lesen. Aber ich habe trainiert, dieses Stück, das ich dann spiele, sozusagen choreografisch zu begreifen (lacht). Daran habe ich viel gearbeitet. Der Moment,an dem sie sich nach vielen Jahren wieder ans Klavier setzt, ist wie ein Traum.
Sie selbst haben einen sehr engen Bezug zur klassischen Musik?
Oh ja. Heute in der Früh habe ich zwei Stunden Bach-Suiten gehört. Ich hatte in Hannover eine Premiere von „Orlando“ und bin erst gestern nach Hause gekommen. Ich brauche das, um wieder anzukommen: Musik hören.
Es gibt ein tolles Bild, wo Sie einen Kleiderkasten öffnen und das Gewand Ihnen wie eine Armee gegenüber steht.
Ja, absolut. Ich finde auch, dass das ein sehr schönes Bild ist, wie überhaupt die Schönheit des Filmes zum großen Teil in der Strenge seiner komponierten Bilder liegt. Ich finde es bemerkenswert und stark, wie Laras Einsamkeit erzählt wird. Was das Bild mit dem Kleiderkasten betrifft: Es hängen darin viele Möglichkeiten, und ich assoziiere damit die Last, die es mit sich bringt, sich jeden Tag anzuziehen.
Wenn man Sie in der Rolle der Klavierlehrerin sieht, muss man an Isabelle Huppert in Michael Hanekes „Die Klavierspielerin“ denken. Geht es Ihnen auch so?
Ich habe diesen Film auf Deutsch synchronisiert, aber ich finde, man kann die beiden Figuren überhaupt nicht miteinander vergleichen. In „Die Klavierspielerin“ vermischt sich das Sexuelle mit dem Grausamen, und das hat mit Lara gar nichts zu tun. Was Isabelle Huppert betrifft: Ich liebe sie, aber ich studiere sie nicht (lacht). Sie spielt ja, so wie ich, auch viel Theater und geht ganz anders an die Dinge heran. Bei ihr läuft viel über die Sprache, und sie hat ein Bewusstsein davon, dass sie ein Star ist. Das alles habe ich nicht. Ich habe Freude, mich auf der Bühne zu bewegen und viel zu machen. Sie aber ist die Meisterin des kleinen Fingers. Einmal hat sie als „Phädra“ den ganzen Abend lang als einzige Bewegung nur den kleinen Finger gekrümmt Das war wirklich unglaublich (lacht herzlich).
Es gibt eine Szene, in der Lara ihrer Mutter eine Ohrfeige gibt. Man empfindet das als absoluten Tabubruch. War das für Sie auch so?
Unbedingt. Abgesehen davon verehre ich Gudrun Ritter, die meine Mutter spielt und eine Kollegin vom Deutschen Theater ist. Es ist mir wirklich nicht leicht gefallen, sie zu schlagen. Noch dazu ist sie so eine tapfere Schauspielerin, die keine Tricks zulässt, sondern wirklich.... Oh Gott, das war heftig. Aber für Lara ist es das Mindeste, was sie aus ihrer Sicht tun sollte. Ich finde, diese Mutter ist wirklich schrecklich grausam.
Sie sprachen anfänglich von der Außergewöhnlichkeit, dass sich ein junger Regisseur für das Schicksal einer älteren Frau interessiert. Ist diese Hauptrolle selten?
Auf jeden Fall, das ist eine seltene Rolle. Auf der anderen Seite haben wir älteren Frauen das Glück, dass die Gesellschaft insgesamt altert und gar nicht mehr umhin kommt, sich langsam auch für uns zu interessieren (lacht).
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