Interview mit Christian Petzold: Wissen, dass man ein Idiot ist

Eine Frau mit Fahrrad und ein Mann stehen an der Küste und unterhalten sich.
Der deutsche Regisseur erzählt in seinem Sommerfilm „Roter Himmel“ über einen jungen Schriftsteller mit Schreibblockade und darüber, wie er Volker Schlöndorff die Laune verdarb

Im Winter 2020 erkrankte Christian Petzold an Covid. Vier Wochen lang lag der deutsche Regisseur im Bett, wälzte Fieberträume und sah sich das Gesamtwerk von Eric Rohmer an. Als junger Mann habe er die Filme des französischen Nouvelle-Vague-Regisseurs geliebt, erzählt Christian Petzold aufgeräumt im KURIER-Interview: „Aber ich dachte, heute werden sie auf mich nicht mehr wirken.“

Irrtümlich gedacht.

Als er Rohmers Ferienromanze „Sommer“ von 1996 noch einmal anschaute, war er begeistert: „Die Franzosen haben Sommerfilme und die Amerikaner auch. Warum haben wir Deutsche keine Sommerfilme?“

Aus dieser Überlegung heraus entstand die Idee zu „Roter Himmel“ (derzeit im Kino) – eine leichtfüßig erzählter Begegnung von vier jungen Menschen in einem Ferienhaus in Strandnähe; überschattet von der Ahnung einer bevorstehenden Katastrophe. Denn Christian Petzold liebt nicht nur Rohmer, sondern auch amerikanische Horrorfilme wie „The Cabin in the Woods“, in dem sich ein Studentenurlaub in einen Zombie-Trip verwandelt.

Zombies tauchen bei Petzold, einem der renommiertesten Regisseure des deutschen Gegenwartskinos, keine auf. Zwei junge Männer namens Felix und Leon – der eine angehender Kunststudent, der andere Jungschriftsteller – , wollen an der deutschen Ostseeküste Arbeitsurlaub machen. Schon auf dem Weg dorthin bricht das Auto zusammen und der Wald gibt bedrohliche Geräusche von sich. Endlich am Ziel angekommen, werden sie von einer Mitbewohnerin namens Nadja überrascht, die sich ohne ihr Wissen ebenfalls im Ferienhaus einquartiert hat.

Ein Porträt des Schauspielers Ulrich Tukur vor einem farbigen Hintergrund.

Erhielt für "Roter Himmel" den Großen Preis der Jury auf der Berlinale: Christian Petzold

„Es ist eine Frage der Moral, wo man bei der Ankunft von Felix und Leon die Kamera hinstellt: Innerhalb oder außerhalb des Hauses?“, überlegt Petzold „Wir haben die Kamera innerhalb platziert, denn das Haus und sein komplexes Innenleben warten bereits auf die beiden.“

Der Traum jedes Urlaubsreisenden sei es, an einen unberührten Ort zu gelangen, weiß der Regisseur: „Der einsame Strand – das verspricht uns jede Urlaubswerbung.“

Zwei Personen stehen am Strand und schauen nach unten.

Kein Paar: Thomas Schubert und Paula Beer in "Roter Himmel"

Felix und Leon hingegen platzen mitten in einen Saustall hinein: Auf dem Wohnzimmertisch stehen Geschirr und halb leere Weingläser, im Hintergrund brummt eine Waschmaschine. Felix nimmt den Überraschungsgast locker, während Leon aus seiner schlechten Laune keinen Hehl macht.

Muffig und grantig

Thomas Schubert, einst von Karl Markovics für sein Regiedebüt „Atmen“ (2011) entdeckt, spielt den schreibgehemmten Leon mit dem überzeugenden Grant des geborenen Wieners. Der netten Nadja (Paula Beer) begegnet er vollendet unwirsch, auf Felix’ Frage, ob er mit Schwimmen komme, entgegnet er mit seinem oft wiederholten Mantra „Nein, ich muss arbeiten“.

Leon ist der Typ muffiger Einzelgänger, der mit seinem vorgeschobenen Arbeitsethos versucht, anderen die Laune zu verderben: „In seiner Person steckt sehr viel von mir selbst drin“, verkündet Petzold freimütig und setzt zu einer Anekdote an, in der er mit seinen Regiekollegen Volker Schlöndorff und Romuald Karmakar 2003 ein Festival in Madrid besuchte. Karmakar hatte den Film „196 bpm“ über DJ Hell gedreht und lud Schlöndorff und Petzold zur Techno-Party ein. Die begann allerdings erst um drei Uhr in der Früh: „Ich war total müde“, erinnert sich Petzold: „Aber anstatt das zuzugeben, sagte ich: ,Ich muss arbeiten.’ Ich wollte ihnen ein schlechtes Gewissen machen.“

Vier Personen stehen auf dem Dach eines Hauses mit Reetdach und schauen nach oben.

Waldbrände nähern sich in Christian Petzolds "Roter Himmel"

Das habe etwas mit dem männlichen Selbstverständnis als Künstler zu tun, weiß Petzold: „Jeder kennt diesen Typus, der auf der Party am Rande steht und zuschaut, während die anderen tanzen. Beim Schreiben hat mich die Figur des Leon richtig aggressiv gemacht, weil ich mich über mich selbst ärgerte. Deswegen brauchte mein Film auch Humor. Leon ist sympathisch, weil er ein Idiot ist. Er weiß auch, dass er ein Idiot ist, aber er kann aus seiner Haut nicht heraus.“

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