KURIER: Frau Benesch, Sie spielen in „Heldin“ eine Krankenpflegerin, die mit ihren Kräften an ihre Grenzen gelangt. Auch in „Das Lehrerzimmer“ und in „September 5“ verkörperten Sie Figuren in professionellen Kontexten. Zufall?
Leonie Benesch: Es ist Zufall, aber ich glaube, daran zeigt sich, dass mittlerweile einfach interessantere Frauenrollen geschrieben werden. Und meine drei letzten Projekte waren einfach die spannendsten Projekte und die am genauesten beobachtenden Drehbücher, die mir angeboten wurden.
Eine Zeitlang war ja der Beruf der Pflege in aller Munde – vor allem während der Pandemie –, aber mittlerweile ist es in der Politik kein großes Thema mehr.
Ja, das stimmt auf jeden Fall.
Wie schwierig ist es, eine Person wie Floria Lind zu verkörpern, die unter Dauerstress steht?
Es war immer klar, dass wir eine Figur erzählen, die nie still hält und immer mindestens zwei Dinge gleichzeitig macht. Das war für mich auch Teil des Spaßes und eine schöne, spielerische Herausforderung. Es war auch vollkommen klar, dass ich all diese Handgriffe gut genug lernen muss, damit man mir abnimmt, dass ich sie tagaus, tagein mache. Ansonsten wäre mir die Figur aus dem Fenster geflogen. Das Lernen hat dann einfach mit stoischem Üben zu tun. Mein Praktikum im Krankenhaus bestand vor allem darin, Leute zu beobachten, die diesen Beruf tatsächlich ausüben, und dabei zu sein, wenn sie mit Patienten und Patientinnen – aber auch untereinander – interagieren. Und es war spannend, für mich zu sehen, wie sich die Pflegekräfte bewegen und mit welcher Effizienz unterschiedliche Menschen Spritzen aufziehen oder Medikamente mischen. So konnte ich entscheiden, wie ich es für meine Figur machen möchte.
Welchen Eindruck haben Sie von den Menschen in der Pflege bekommen?
Es gibt viele Menschen in der Pflege, die ihren Beruf mit absoluter Leidenschaft ausüben und es so lange weitermachen werden, bis sie zusammenkrachen. Und dann gibt es andere, meist jüngere Pflegefachkräfte, die sagen, sie wollen diese Arbeit noch ein Jahr machen und dann wechseln, weil sie so nicht alt werden können und wollen. Es gibt aber auch Menschen, die sagen, es sei ihr absoluter Traumberuf.
Empfinden Sie nach so einer Erfahrung den Beruf als Schauspielerin, der ja auch mit Glamour einhergeht, als besonders privilegiert?
Mit Sicherheit. Das ist meistens so, wenn man eine Figur spielt, die sich vielleicht in anderen Extremzuständen befindet als man selbst. Man hat danach immer eine besondere Wertschätzung dafür, was andere Menschen erleben oder womit sie sich herumschlagen müssen – im Gegensatz zu einem selber.
Ist Pflege immer noch in erster Linie weiblich?
Das ist Fakt. Achtzig Prozent der Pflegefachkräfte sind Frauen. Gerade auch, wenn wir nicht über den handwerklichen Teil, sondern über den zwischenmenschlichen Teil, also über „emotional Labour“ sprechen. Das ist ein Begriff, der in den letzten Jahren endlich mehr Aufmerksamkeit erfahren hat. Es geht um Frage der Care-Arbeit, die meistens Frauen zugeschrieben und auch von ihnen erwartet werden.
Wäre es ein „Männerberuf“, wäre es höchst wahrscheinlich schon besser bezahlt.
Auf jeden Fall. Ich war leider bei den Filmvorführungen selbst nicht dabei, weil ich krank war. Aber die Regisseurin hat mir von den Streitgesprächen mit Pflegekräften, die meist Frauen sind, nach den Vorführungen erzählt. Es gab anscheinend im Publikum häufiger Wortmeldungen von älteren Männern, die meinen, es werde in „Heldin“ von einer sehr zugespitzten Nachtschicht erzählt. Und dann stehen Frauen, die diese Arbeit machen, auf und sagen: „Nein, so sieht mein Alltag aus.“ Es waren vor allem Männer, die fanden, der Film sei übertrieben.
Der Umgang mit dem Tod ist ebenfalls großes Thema in der Pflege. Was haben Sie dazu für ein Verhältnis?
Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum die Pflege so wenig Aufmerksamkeit erfährt: Weil sie sich mit den Tabuthemen Krankheit und Tod auseinandersetzt und wir das als Gesellschaft mehr oder minder erfolgreich an den Rand gedrängt haben und uns weigern, darüber nachzudenken, bis wir dazu gezwungen werden. Und dann ist es oft zu spät. Ich selbst bin recht gesund, stehe in der Mitte meines Lebens und habe keine großen Existenzfragen. Ich muss mich auch nicht um Familienmitglieder kümmern. Allerdings ist das Thema Tod und Sterben in unserer Familie immer schon recht normal behandelt worden, weil mein Vater Pfarrer ist und man als Pfarrer viel damit zu tun hat. Ich glaube, ich bin relativ früh damit in Berührung gekommen und es war relativ normalisiert, vor allem, wenn ich mir anschaue, wie wenig andere Menschen mit dem Sterbeprozess in ihrem Leben zu tun haben. Tod schon. Ich habe viele Freunde und Familie, die sehr nahe Verwandte verloren haben. Aber es ist gerade der Prozess des Sterbens, den wir so komplett ausklammern.
Sie selbst haben die Oscar-Galas schon zwei Mal besucht – sowohl für „Das weiße Band“ als auch für „Das Lehrerzimmer“. Auch Ihr letzter Film „September 5“ wurde in der Kategorie bestes Drehbuch nominiert. Was ist das für ein Gefühl, wenn die Oscarglocken läuten?
Ach, das ist natürlich toll! Ich glaube, habe mittlerweile einen recht ernüchternden Blick darauf, was diese Maschine hinter den Oscars bedeutet und wie sie funktioniert. Aber trotzdem ist es natürlich das Glamouröseste, was es innerhalb unserer Branche gibt. Das ist natürlich toll. Ich freue mich riesig für Tim und Moritz (Tim Fehlbaum und Moritz Binder, Regie und Drehbuch, Anm.), dass sie nominiert sind. Und ich hoffe, Sie verbringen bei den Oscars den schönsten Abend.
Inwiefern sind Sie ernüchtert?
Der Oscar ist hauptsächlich Business. Gerade in Europa hat man so ein bisschen die Vorstellung, dass die Filme ins Rennen gehen und dann der Beste gewinnt. Aber das ist halt nicht so. Es hat ganz viel damit zu tun, welches Studio das meiste Geld ausgibt und die besten Verbindungen hat – sowohl zu Journalisten und Journalistinnen, als auch zu den Abstimmungsberechtigten. Dann hängt die Preisvergabe wiederum stark davon ab, aus welchen Leuten die Academy zusammengesetzt ist. Aber der Hauptteil hat damit zu tun, wer die besten Kampagnen fährt. Dazu muss der Film nicht wirklich gut sein, aber klar – es ist hilfreich, wenn er es ist. Je mehr Zeit ich in meinem Leben damit verbracht habe, desto ein klareres Bild habe ich, wie das läuft. Aber trotzdem ist der Oscar wunderschön - weil er halt die am besten bekannte Auszeichnung ist.
Sie haben in London Schauspiel studiert, nicht in Deutschland. Wollten Sie sich von Anfang an international aufstellen?
Ja, schon. Ich wollte gerne auf Englisch lernen. Erstens, weil es an sich schon eine Herausforderung ist, und zweitens, weil viele Menschen, die sich über Jahrzehnte eine interessante Karriere aufgebaut haben, britische Schauspielschulen besuchten. Dadurch, dass ich jetzt akzentfrei Englisch spreche, stellt sich mir natürlich auch ein anderer Markt zur Verfügung. Ich kann als englische „Native“ durchgehen, wie zum Beispiel in der TV-Serie „In 80 Tagen um die Welt“.
Sie tragen die Haare kurz. Teil einer neuen Rolle?
Die kurzen Haare hat mir mein Hair- & Make-up Artist Philipp Verheyen für die Oscar-Gala zu „Das Lehrerzimmer“ vorgeschlagen. Seitdem sind sie kurz. Derzeit drehe ich gerade die Serie „Prisoners“ für Sky, und die finden die Haare auch super. Deshalb bleiben sie erst mal so.
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