Erst eine Freundin der Familie, von Beruf Tierärztin, konnte das Verhalten des Hundes erklären. Es handelte sich dabei um eine nahe, mit dem Wolf verwandte Rasse. Wenn der Wolf sein Ende kommen spürt, zieht er sich oft zurück. Er sucht sich einen Platz abseits des Rudels, um dort in Ruhe zu sterben: „Das hat mich sehr berührt“, sagt die 49-jährige Filmemacherin, die mit ihrem feinsinnigen Drama „3 Tage in Quiberon“ – mit Marie Bäumer in der Hauptrolle – Romy Schneider ein zärtliches Denkmal setzte: „Ich habe es verstanden, und es hat mich beruhigt. Umso älter ich wurde, umso mehr wurde mir klar, dass wir genau das gleich erleben werden wie die Tiere. Wir werden sterben, aber wir weigern uns, darüber zu reden. Dabei könnte es so viel einfacher sein, denn wir werden alle diese Erfahrung machen.“
In Emily Atefs neuem Film „Mehr denn je“ (derzeit im Kino) fällt der Satz: „Die Lebenden können die Sterbenden nicht verstehen.“
Diese schmerzhafte Erfahrung macht die junge Hélène – einfühlsam gespielt von Vicky Krieps, zuletzt als Kaiserin Elisabeth in „Corsage“ zu sehen. Hélène leidet an einer tödlichen Lungenkrankheit. Ihre einzige Chance besteht in einer gefährlichen Lungentransplantation mit ungewissem Ausgang. Die Rolle ihres verzweifelten Ehemanns Mathieu übernahm der Franzose Gaspard Ulliel: Er verunglückte im Jänner tödlich und ist in „Mehr denn je“ in seiner letzten Kinofilmrolle zu sehen.
Wenn Hélène ihren Mann zu einem Abendessen im Freundeskreis begleitet, wird das Tischgespräch zum Spießrutenlauf. Alle wollen besonders einfühlsam sein – und die Stimmung ist beklommen: „Sie gehen mit ihr um, als wäre sie schon ein bisschen tot“, findet die Regisseurin: „Hélène wird behandelt, als wäre sie nicht mehr Teil unserer Gesellschaft.“
Wahrhaftigkeit ist für Atef die einzige Möglichkeit, einem Todkranken zu begegnen: „Man kann versuchen, zu verstehen, indem man sich gegenüber dem Kranken nicht verstellt und stattdessen fragt: ,Was willst du eigentlich?’“
Im Fall von Hélène ist es das Gegenteil von dem, was ihr Mann will: Er möchte ihren Namen auf die Liste für eine Transplantation setzen, sie zögert. Er möchte, dass sie zu Hause bleibt und sich schont, sie will alleine wegfahren – nach Norwegen.
Emily Atef erzählt keinen tristen Sterbefilm, sondern ein lebendiges Beziehungsduett, in dem zwei Liebende den Rhythmus für ihre letzte, gemeinsame Runde finden müssen. Für Hélène bedeutet dies eine Reise in die Einsamkeit der Natur Norwegens: „Natur wird für mich immer wichtiger, sowohl in meinem Leben als auch in meinen Filmen“, erzählt Emily Atef, die als junge Frau mit dem Motorrad durch Norwegen gebraust war: „Die Natur dort ist umwerfend monumental. Das hat mich sehr geprägt. Der Natur ist es absolut egal, ob man lebt oder stirbt. Der Mensch ist nicht so wichtig. Ich finde das sehr beruhigend.“
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