Wie seid Ihr auf das Thema von Selbstmörderinnen im 18. Jahrhundert gestoßen?
Veronika Franz: Durch einen Podcast und eine amerikanische Historikerin namens Kathy Stuart. Ihr Lebensthema sind Männer und Frauen – aber vor allem Frauen – im 18. Jahrhundert, die Menschen umgebracht haben, um in den Himmel zu kommen.
Warum das?
Veronika Franz: Man durfte sich nicht umbringen, weil das vor Gott als die größte Sünde galt. Es war also damals denkunmöglich, sein eigenes Leben zu beenden. Dafür haben diese Frauen einen Umweg genommen: Sie bringen jemand anderen um, um dafür hingerichtet zu werden. Dadurch begehen sie keinen aktiven Selbstmord und haben noch die Möglichkeit, in den Himmel zu kommen – wenn auch vielleicht über den Umweg des Fegefeuers.
Klingt tatsächlich nicht sehr unterhaltsam. Was hat Euch an diesem Stoff gereizt?
Veronika Franz: Was ich besonders interessant finde, ist, dass man Frauen selten physische Gewalt zuschreibt. Dem Klischee nach bringt eine Frau jemand anderen um, indem sie etwa zum Gift greift. Ich fand es total faszinierend, dass diese Frauen Kinder oder schwache Menschen umbringen, um zu ihrem Ziel zu kommen. Durch Erwürgen, Kehle aufschlitzen ...
Severin Fiala: ... und das war ein Teil des Problems, warum die Finanzierung solange gedauert hat. Die Amerikaner meinten gleich: Europäischer Arthouse-Film. Interessiert uns nicht (lacht). Jetzt ist es eine deutsch-österreichische Koproduktion geworden.
Ihr habt euch auf historische Quellen gestützt?
Veronika Franz: Wir haben unter anderem das Gerichtsprotokoll einer Bäuerin aus Oberösterreich, die im 18. Jahrhundert ein einfaches Leben führte und dann eine Gewalttat an einem Buben beging. Sie wird von einem Inquisitor in drei Durchgängen befragt – bis hin zu Fragen wie: „War der Sex mit dem Ehemann eh okay?“ – wenn man es in die heutige Zeit übersetzen würde. Dann hört man die Stimme dieser Frau, die niemand kennt, aus dem Jahr 1750: Das war für uns ein magischer Moment. Normalerweise kommen nur Künstler, Adelige oder die Kirche zu Wort. Alle anderen nicht.
Apropos heutige Zeit: Wie gegenwärtig ist Euer Film?
Veronika Franz: Es geht nicht nur um die Frau und ihr Verbrechen, sondern auch um Dogmatismus und darüber, wie sie dem System ein Schnippchen schlägt. Zugleich ist es die Geschichte einer Depression. Auch heute ist Depression eine der schwierigsten Krankheiten – auch für das soziale Umfeld – und darauf gibt es nicht genügend Antworten. Deswegen haben wir auch unsere Kostümbildnerin Tanja Hausner gebeten, zeitlose Kostüme anzufertigen, die Fehler haben. Es sollen keine „schönen“ Kostüme sein.
Severin Fiala: Und man soll das Heute spüren können.
Wer spielt die Hauptfigur? Valerie Pachner war lange im Gespräch, oder?
Severin Fiala: Wir haben Valerie Pachner 2016 gecastet und waren begeistert von ihr. Dann spielte sie bei Terrence Malick in „Ein verborgenes Leben“ und wurde für viele Projekte angefragt. Durch Corona hat sich alles unabsehbar nach hinten verschoben.
Veronika Franz: Dann haben wir Anja Plaschg (auch als Musikerin Soap&Skin bekannt, Anm.) gefunden, die wir eigentlich als Musikerin angefragt haben, weil wir dachten, dass sie mit dem Film etwas anfangen kann. Das hat sich bestätigt. Und jetzt ist sie unsere Hauptfigur Agnes. Agnes heiratet in ein Dorf, wo sie fremd bleibt, keinen Anschluss findet und depressiv wird. Der Ehemann und die Schwiegermutter stellen eine andere Welt dar – das war auch im Protokoll so.
Wer spielt die Schwiegermutter?
Veronika Franz: Maria Hofstätter. Zur Rollenvorbereitung lernt sie gerade das Karpfenfischen. Das ist sehr schwere Arbeit. Wir haben im Waldviertel, wo wir drehen werden, das Karpfenfischen entdeckt, das mehr oder weniger gleich betrieben wird wie noch im 12. Jahrhundert. Das hat uns total begeistert. Wir beschäftigen uns auch mit Originalmusik: Lustigerweise war ein Instrument der damaligen Zeit der Dudelsack. Das weiß man gar nicht (lacht).
Severin Fiala: Manchmal machen historische Fakten auch unglücklich. Weil den Dudelsack wollten wir eigentlich nicht im Film haben.
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