"Hoffmann" als Bregenzer Geniestreich

Was an Spannung, an Fantasie, an Kraft bei der Bregenzer "Turandot"-Produktion gefehlt hatte – die zweite Festspielpremiere brachte all das im Überfluss. Man fühlt sich wie in einem Zaubertheater, ja in einem paradiesischen Garten, in dem Ideen auf den Bäumen wachsen. Man muss sie als Zuschauer nur pflücken, sie kosten, sich darauf einlassen. Und es macht gar nichts, wenn einem nicht alle schmecken oder man einige nicht versteht. Es bleibt dennoch überwältigend.
Stefan Herheim inszenierte Jacques Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen", und er zeigt das Werk über die verzweifelte Suche nach Liebe als Travestieshow, bei der die Rollen und auch die Geschlechter ständig gewechselt werden. Gleich zu Beginn ist die begehrte Sängerin Stella ein Transvestit (Pär Karlsson), der über eine Showtreppe stürzt – ein Käfig voller Narren im Festspielhaus.
Die Suche nach dem Ich
In dieser Produktion geht es um hunderte Themen, vor allem aber um Begierde, um Sehnsucht, um die Ausweitung der (sexuellen) Grenzen, um Exzess. Mann liebt Frau, Mann liebt Mann, Frau liebt Frau, aber vielleicht lieben die meisten doch nur sich selbst. Hoffmann wird hier zur Puppe Olympia, zum Automaten, da ja viele nur noch mechanisch ticken. Er verwandelt sich in Antonia und in Giulietta – und alle anderen (seine Frauen, seine Freunde, gut gesungen vom Prager Philharmonischen Chor) verwandeln sich in ihn. Die Suche nach Liebe ist die Suche nach sich selbst. Und die anderen sind Projektionsflächen.
Herheim spielt mit den Ebenen, mit den Persönlichkeiten, er erweist sich mit seiner theatralischen Wundertüte wieder als genialer Opern-Analytiker.
Hinreißend gezeichnet ist Michael Volle, der die Bösewichte singt. Er ist zunächst ein Zuschauer, der sich lautstark über den schwulen Unsinn beklagt, auf die Bühne stürmt und mehr und mehr selbst zur Travestie-Figur wird. Toll, wie er sich auf all das einlässt. Der heimliche Protagonist ist jedoch Christophe Mortagne in den Dienerrollen – er wird von Herheim als Offenbach gezeichnet. Nicht so billig, wie es tags zuvor Marelli mit Calaf als Puccini gemacht hatte, sondern hintergründig, raffiniert, präzise schon zu Beginn, wenn er mit seinem Cello auf die Bühne kommt. Und Mortagne spielt all das und noch viel mehr (bis hin zum Gondoliere) grandios.
Die Showtreppe verwandelt sich in Luthers Weinkeller und zum physikalischen Kabinett – dort entspringen die Puppen dem (leicht abgewandelten) Gemälde "Der Ursprung der Welt" von Gustave Corbet. Auch der Venedig-Akt gelingt verblüffend gut.
Der Fluch der Technik
Die Bühne (Christof Hetzer) ist aber so aufwendig, dass einmal wegen eines technischen Problems fünf Minuten lang unterbrochen werden muss. Das passiert während der Kleinzack-Arie und zeigt, wie aufregend ein Live-Spektakel sein kann.

Die Sänger spielen auch alle mit Hingabe. Kerstin Avemo ist eine famose Olympia und teilt sich in dieser eigenwilligen Fassung mit Mandy Fredrich, der schön phrasierenden Antonia, die Partie der Giulietta. Rachel Frenkel ist hier geradezu ideal als Muse und Nicklausse. Daniel Johansson gibt alles als Hoffmann, in der Höhe klingt er manchmal recht angestrengt. Michael Volle füllt die Partien der Bösewichte mit all seinen enormen stimmlichen Möglichkeiten aus. Auch die kleineren Partien sind gut besetzt.
Die Wiener Symphoniker präsentieren unter Johannes Debus einen temporeichen, dynamisch differenzierten, klangschönen, manchmal leicht wackeligen "Hoffmann". Aber selbst das passte diesfalls zur Typologie.
KURIER-Wertung:

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