Henze-Premiere: Von Fanatikern und Neurotikern

Henze-Premiere: Von Fanatikern und Neurotikern
Salzburger Festspiele - die Kritik. Großer Erfolg mit der Neuproduktion von Hans Werner Henzes „The Bassarids“

Nach Lydia Steier („Zauberflöte“, naja), Romeo Castellucci („Salome“, ja!!!), Hans Neuenfels („Pique Dame“, ja!?), Moshe Leiser/Patrice Caurier („L’italiana in Algeri“, JA!) und Jan Lauwers („L’incoronazione di Poppea“, ebenso ein großes JA!) war nun auch Krzysztof Warlikowski als Regisseur bei den Salzburger Festspielen zu erleben: Bei der Neuproduktion von Hans Werner Henzes „The Bassarids“, des letzten szenischen Opernkraftaktes des diesjährigen Festivals.

Nach dieser Leistungsschau zeitgemäßen Musiktheaters kann man getrost behaupten: Salzburg hat in diesem Jahr im Opernbereich szenische Maßstäbe gesetzt, von denen andere große Institutionen, zumindest in Österreich, meilenweit entfernt sind. Unabhängig davon, ob man jede Produktion im Detail mag oder nicht: Die Bandbreite an unterschiedlichen Sichtweisen ist enorm. Hier ist der zweite Teil des Wortes Musik-Theater nicht nur ein Lippenbekenntnis.

Die Geschichte

Wie gut Warlikowski, der Psychoanalytiker der Oper, dessen Interesse dort zu beginnen scheint, wo die Traumata der Figuren offensichtlich werden, als Regisseur wirklich ist, sieht man schon allein daran, dass man die auf Euripides basierende Geschichte des genialen W. H. Auden überhaupt versteht. In einem fast 15-minütigen Prolog lässt Warlikowski die Vorgeschichte erzählen: Wie Dionysos von Zeus mit Semele gezeugt wurde; wie Semele in Flammen aufging, als ihr der Göttervater in voller Pracht erschien; wie die Bürger Thebens seither in zwei Lager, die Gläubigen und die Ungläubigen, geteilt sind.

An diesem Punkt setzt die Oper ein: Pentheus, der Enkel des Theben-Gründers Kadmos, wird zum König, die Lage ist aber überschattet von der mutmaßlichen Rückkehr des Dionysos. Am Ende wird Pentheus von seiner eigenen Mutter geköpft, und Theben steht in Flammen. Eine komplizierte Handlung, die bei einem schlechteren Regisseur zum szenischen Desaster werden könnte.

Die Inszenierung

Warlikowski, durchaus in der Tradition eines Antonin Artaud, nimmt die griechische Mythologie als Basis für eine allzeit gültige Geschichte über Radikalismus und über Machtstrukturen. Die Anhänger des Dionysos-Kultes sind blinde Fanatiker, die ihrem Idol mordlüstern folgen. Pentheus ist zwar der Vertreter des rationalen Prinzipes, voller Neurosen zieht er jedoch ein brutales Unterdrückerregime auf. Diese beiden Elemente lässt Warlikowski in beeindruckenden Bildern aufeinanderprallen, mit viel Nacktheit und viel Blut, sehr filmisch, spannend wie ein Thriller.

Die breite Bühne der Felsenreitschule (Malgorzata Szcześniak) ist in Einzelräume unterteilt, was dann zum Problem wird, wenn man nicht mehr alles im Auge behalten kann. Wahrscheinlich muss man aber auch nicht alles sehen oder verstehen, da es mehr um Massenpsychosen geht als um individuelle Schicksale.

Ebenso packend ist die Musik, die nach der Uraufführung 1966 erfreulicherweise wieder in Salzburg zu hören ist. Hans Werner Henze, einer der größten Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts, hat mit den „Bassarids“ ein auch nach 52 Jahren höchst innovativ wirkendes Meisterwerk geschaffen, das mit spätromantischen Klängen, atmosphärischer Dichte, keinerlei Scheu vor melodischer Schönheit, radikalen Brüchen, großer rhythmischer Kraft und brillanter Instrumentation bis hin zur riesigen Schlagwerkergruppe besticht. Kent Nagano ist am Pult der wunderbar präzise, dramatisch und gleichermaßen sensibel spielenden Wiener Philharmoniker ein famoser Gestalter der anspruchsvollen Partitur.

Die Sänger

Gesungen wird auf englisch (daher „The Bassarids“), und zwar intensiv und berührend: Von Sean Panikkar, einer echten Tenor-Entdeckung als Dionysus; von Russell Braun, einem kultivierten Bariton als Pentheus; von Willard White als profundem Cadmus und Nikolaus Schukoff als ausdrucksstarkem Tiresias/Calliope; von der fabelhaften Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner als Agave und als Venus und der ebenfalls guten Vera-Lotte Böcker als Autonoe/Proserpine; sowie von Karoly Szemerédy (Captain/Adonis), Anna Maria Dur (Beroe) und dem Chor. Insgesamt ganz schön viel zum Schauen, Hören und Mitdenken. Und das Beste daran: Selbst derart komplexe Abende sind in Salzburg heuer sehr gut besucht.

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