Heiliges Autotune: Madonna klammert sich an ein Supreme-Hoodie

Heiliges Autotune: Madonna klammert sich an ein Supreme-Hoodie
Die stimmliche Verfremdung auf "Madame X" markiert eine tiefe stilistische Krise

Die einst wichtigste Frau des Pop hat ein neues Werk vorgelegt. „Madame X“ heißt das Album, mit dem sich die multi-identitäre Künstlerin eine weitere Persona umstülpt: Sie hat Autotune entdeckt und lässt Stimmverfremdungen vom Stapel, wie sie nun einmal von den Kids heute geliebt werden.

Man kann von Madonna vieles verlangen: Disziplin, Unerschrockenheit, Professionalität..., ein Anspruch auf Authentizität gehörte nie dazu. Das wäre auch unangemessen bei einer Künstlerin, die in der beliebigen Kulisse des 80er-Jahre-Bubblegum-Pop ihre wichtigsten Werke ablieferte. Madonna war nie stilprägend und nur kurz einmal so etwas wie das Original. Ab „Like a Prayer“ (1989) konzentrierte sie sich drei Jahrzehnte lang überaus erfolgreich darauf, jene Trends abzuschöpfen, die aus dem Untergrund nach oben waberten.

Madonna, das war immer ein bisschen kuratierte Fremdleistung, umgedeutet zu Charthits. Dass diese Art der Inspiration zu einer Identitätskrise führen würde, war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Dafür hat es Madonna jetzt mit voller Wucht erwischt.

Frau Ciccone beginnt das Album mit dem sehr sommerloungetauglichen „Medellin“, das die sehr ehrliche Textzeile „Another me could now begin“ bereithält. „One-Two-Chachacha“ und „Slow down Papi“ heißt es in dem Track weiter. Interessante Perspektive einer Popveteranin, die jetzt auch schon lockere 40 Jahre dabei ist.

Systemkritikerin

„Dark Ballett“ ist zum wahrscheinlich ernstgemeintesten Song des Albums geworden: Quälend zieht sich eine Refrainzeile über eine Welt, für die man sich schämen soll, bis ein Piano-Solo das Lied komplett auf den Kopf stellt. „Der Sturm ist nicht in der Luft, er ist in uns“ – Systemkritikerin Madonna leidet offenbar sehr unter den nicht näher spezifizierten Verhältnissen.

Und ein erster Strohhalm wird sichtbar, an den sich die Künstlerin klammert, um ein bisschen den Eindruck zu vermitteln, sie wisse noch, um was es bei den jungen Leuten heute so geht: „Außerhalb deines Supreme-Hoodies beginnt der Wind zu heulen“. Nun ja.

In „God Control“ geht es mit der diffusen Systemkritik weiter. „When they talk reforms it makes me laugh“, ätzt Madonna. Dazu erinnert ein Kirchenchor an gute alte „Like a Prayer“-Zeiten und der fröhliche Housebeat referenziert eine weitere Facette Madonnas: die der Schwulenikone.

Produktionstechnisch setzt sie auf wilde Collagen wie zuletzt der Rapper Tyler the Creator mit „Igor“. Bei dem wirkt es allerdings glaubwürdig gewachsen. Bei Madonna wie eine übergriffige Aneignung afroamerikanischer und karibischer Populärkultur: Warum die weiße, italienischstämmige New Yorkerin Reggaeton-Tracks wie „Future“ abliefert oder Gospels einbaut („Batuka“) bleibt ein Rätsel. Ab „Crazy“ beginnt sie mitunter auf spanisch zu singen, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Madonna versucht, eine 20-jährige Shakira darzustellen. Als die Größte des Pop wurde sie selbst längst von Beyoncé abgelöst.

Kommentare