Grafenegg: Atemberaubende Sehnsuchtsmotive im Wolkenturm

Wurde zurecht mit Ovationen gefeiert: Andris Nelsons.
Von: Susanne Zobl
Die Temperaturen waren am Sonntag erfrischend, aber der Wind gönnte sich eine Pause im Schlosspark Grafenegg. Lediglich das eine oder andere Flugzeug und das Zirpen der Grillen mengte sich in den ganz leisen Stellen in ein musikalisches Ereignis. Das generierte Andris Nelsons mit seinem Leipziger Gewandhausorchester und der Geigerin Isabelle Faust.
Nelsons, seit 2018 Gewandhauskapellmeister (also Chefdirigent), hatte ein forderndes Programm gewählt. Zum Auftakt würdigte er gleich zwei Komponisten: Arvo Pärt, dessen 90. Geburtstag am 11. September bevorsteht, und Benjamin Britten, dessen Todestag sich erst 2026 zum 50. Mal jährt.
Die Orchesterminiatur „Cantus in Memory of Benjamin Britten“ für Streichorchester und eine Glocke ist ein Juwel. Dessen mystische Aura entfaltete Nelsons auf der Freilichtbühne atemberaubend. Die Streicher intonierten mit höchster Intensität, erhoben aus Flageolett-artigen Passagen Sehnsuchtsmotive, begleitet vom rhythmischen Schlagen der Glocke.
Antonín Dvořáks Violinkonzert in a-Moll zählt zu den schwierigsten Stücken seines Genres. Ursprünglich hätte Hilary Hahn als Solistin gastieren sollen. Sie musste aufgrund einer Verletzung absagen. Für dieses Stück adäquaten Ersatz zu finden, ist eine Herausforderung. Isabelle Faust ist aber nicht nur ein adäquater Ersatz, sie ist ein echtes Geschenk. Harmonisch agiert sie mit dem Orchester, fulminant geraten ihre „Duette“ mit den Bläsersolisten. Diese deutsche Geigerin ist eine wahre Meisterin der Phrasierung. Doch nicht genug damit, sie beherrscht auch das böhmische Idiom, was sie in den tänzerischen Passagen mit einer phänomenalen Leichtigkeit hören lässt.
Wie aufwühlend Jean Sibelius’ zweite Symphonie in D-Dur sein kann, ließ Nelsons nach der Pause erleben. Atemberaubend das Streichermotiv zu Beginn. Jede Nuance ziselierte dieser Dirigent mit Tiefsinn und er ließ hören, dass Präzision und Emotion kein Widerspruch beim Musizieren sind. Raffiniert klangen die Pizzicato-Passagen zu Beginn des langsamen Satzes. Die Effekte im Finale generierte er ganz natürlich. Er wurde zurecht mit Ovationen gefeiert.
Bis 7.9. holt Rudolf Buchbinder die musikalische Elite nach Niederösterreich. Am 28.8. kommt die Tschechische Philharmonie mit Petr Popelka und dem Cello-Virtuosen Gautier Capuçon. Buchbinder selbst ist am 4.,5., und 7.9. zu hören.
Kommentare