Asmik Grigorian: Die Einzige, die Carmen und Lady Gaga singen kann

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"A Diva is Born": Die Sopranistin wurde im Großen Salzburger Festspielhaus für einen intelligenten Liederabend gefeiert.

Wenn das Programmheft der Salzburger Festspiele für einen Liederabend Opernarien neben Songs von Sting oder Lady Gaga auflistet, ist man als Besucher zunächst einmal alarmiert und denkt an bereits vergessen geglaubte Konzerte von Sarah Brightmann, Andrea Bocelli oder anderen Crossover-Lieblingen bis hin zu Luciano Pavarotti, die ein Massenpublikum erreichten, bei ihren Grenzgängen aber stilistisch nicht immer geschmackssicher agierten.

Dies gedacht (oder nunmehr formuliert) habend, ist man gleich irritiert über eigene Vorurteile und den offenbar bestehenden Zwang, künstlerische Stattfindungen immer in Schubladen einteilen zu müssen. Vor allem verkennt man dabei, mit welcher Künstlerin man es diesfalls zu tun hat, mit Asmik Grigorian, die dem Klischee eines Opernstars von einst nicht im Geringsten entspricht und viel zu klug dafür ist, auch Jazz-, Pop- oder Musical-Standards mit ihrem mächtigen Sopran niederzuwalzen. Sie besitzt überdies ausreichend Humor und Selbstironie und macht genau das, die Klischees und die Arroganz des Opernbusiness nämlich, in ihrem Soloabend zum Thema. Das Publikum ist zunächst verwundert und am Ende restlos begeistert.

"A Diva is Born" heißt das Programm, und allein schon der Titel ist eine Provokation, weil er den Starkult und die Sehnsüchte vieler Opernkünstler kritisch hinterfragt. Im Großen Festspielhaus findet die Diven-Werdung statt, nur wenige hundert Meter von der Salzburger Residenz entfernt, wo bei der amfAR-Gala einige längst etablierte Diven (und dazu noch solche sein wollende) ihr Diventum ausleben. Ein perfekter Kontrast, als wäre diese Programmierung beabsichtigt.

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An der Wiener Staatsoper hatte Asmik Grigorian dieses Programm, konzipiert und aufgeführt mit dem Pianisten Hyung-ki Joo, schon vorgestellt, nun wurde es von den beiden für Salzburg adaptiert, das für ihre Karriere wichtiger ist als sämtliche anderen Opernorte. In Salzburg wurde sie als Wozzeck-Marie international registriert und auf Anhieb akklamiert, dort feierte sie Erfolge als Salome und auch als Chrysothemis, in Salzburg begeisterte sie in Puccinis "Trittico" und zuletzt als Lady Macbeth, sie ist untrennbar mit der Intendanz von Markus Hinterhäuser verbunden, wie es zuvor Anna Netrebko mit jener von Peter Ruzicka oder Alexander Perreira war.

Bei all diesen erwähnten Rollen gab es im Vorfeld Skepsis (anfangs auch vom Autor dieser Zeilen): zu wenig dramatisch für "Wozzeck" und für Strauss, zu wenig lyrisch für Puccini, zu schön singend für die brutale Macbeth-Lady (Ähnliches hörte man auch vor ihrer "Butterfly"-Premiere an der Wiener Staatsoper) - und immer wieder belehrte Asmik Grigorian die Besserwisser eines wirklich Besseren. Längst hat sich das gedreht, und jeder neuen Rolle wird mit größter Neugierde statt mit Vorbehalten entgegen geblickt, Selbiges gilt sogar für Ausflüge in die Popmusik, Asmik Grigorian ist in ihrer Natürlichkeit und Anti-Divenhaftigkeit zur vielseitigsten und aufregendsten Opernsängerin geworden.

Genau diese ständigen Vorbehalte macht sie auch zum Thema bei ihrem Liederabend, formuliert durch Jyung-ki Joo am Klavier, der sie als gestrenger, teils brutaler Lehrer bei ihrer Divenwerdung unterstützt (oder blockiert). Es beginnt mit einer Eigenkomposition des Pianisten, der, Opernklischees entsprechend, in einer absurden, Mozart-artigen Kostümierung auftritt - und Asmik Grigorian taucht an verschiedenen Plätzen im Festspielhaus auf, nur ein paar Töne singend.

Nach etwa zehn Minuten kommt sie im engen schwarzen Kleid auf die Bühne und singt weiterhin nur Tonleitern, ihr fehlt noch die richtige Sprache. Mindestens 15 Minuten lang hört man kein einziges gesungenes Wort, nur Kaskaden von Tönen. In genau jenem Moment, in dem man sich als Hörer zu wundern beginnt, legt sie mit der ersten Arie los, "O mio babbino caro" aus Puccinis "Gianni Schicchi", sie versteht sich also nach einer Phase der Irritation auf das richtige Timing.

Die Arie wird von ihrem Begleiter kritisch kommentiert, Asmik Grigorian wirkt wie ein hilfloses Mädchen und wird sofort in die nächste Arie geworfen wird: "Un bel di, vedremo" aus "Madama Butterfly". Auch das wird von ihrem Pianisten/Gesangslehrer nicht goutiert, es folgt ein Auszug der Cabaletta der Lady Macbeth - und all das ist, im Gegensatz zu den frechen Anmerkungen von Hyung-ki Joo, die die dramaturgische Klammer bilden, fabelhaft gesungen, ausdrucksstark, mit schönem Timbre, wunderbarer Phrasierung, klarer Höhe und äußerst berührend.

Aber was kommt nach der Lady Macbeth, die sie auch in diesem Sommer in Salzburg gesungen hat? In diesem Fall die Habanera der Carmen, grandios interpretiert, ein Ausflug ins Mezzofach, wieder eine Neuerfindung ihrer selbst. Und einer der Höhepunkte dieses Abends, vielleicht sogar schon ein Vorgeschmack auf die kommende Festspielsaison, die ihr Carmen-Debüt in Salzburg bringen wird.

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A Diva ist also nunmehr born, zumindest im Opernfach. Aber es gibt ja zum Glück auch andere musikalische Fächer, die nicht minder faszinierend sind. Zunächst singt sie, unter dem Klavier hockend, den Anfang von "I Feel Pretty" aus Bernsteins "West Side Story", das verlangt aber nach einem anderen Outfit, sie verlässt die Bühne und kommt in Lederjacke, Ledershorts und hohen Stiefeln zurück, um sich an Stings "Moon over Bourbon Street" zu versuchen. Zunächst mit Opernstimme, schrecklich, schlag nach bei Crossover-Missverständnissen. Aber auch hier: In jenem Moment, in dem man sich wundert, dass Asmik Grigorian eine derartige stilistische Sünde begeht, macht sie eine Notbremsung, bekommt ein Mikrofon in die Hand und gestaltet diese Ballade, als befände sie sich in einem winzigen Jazzclub, zurückgenommen, mit geradezu rauchiger Stimme, als hätte sie nie in ihrem Leben Oper gesungen. Sie weiß also genau, was sie tut, was es in welchem Fach braucht, wie sie Grenzen wirklich überschreitet, ohne den Ballast aus anderen Welten mitzunehmen.

Dann setzt sie sich selbst ans Klavier, ein weiterer Höhepunkt, spielt Bach/Gounods "Ave Maria" und transformiert dieses zu "Always Remember Us This Way" von Lady Gaga. Fast wähnt man die grandiose amerikanische Popkünstlerin auf der Bühne, Asmik Grigorian ist ein würdiges Cover.

Mit Lady-Gaga-Interpretationen geht es weiter, mit der Intonation einer Pop-Diva und ohne irgendwelche Opern-Allüren, ehe Asmik Grigorian mit "Casta Diva" zurück zu ihrem eigentlich Fach kehrt und den Abend offiziell beendet. Die Zugabe - ein Lied über Unmusikalität im Stil von Florence Foster Jenkins - singt sie in einer schrecklichen Opernrobe, aber möglicherweise ist auch diese Teil der Ironisierung.

Was man aus diesem Abend definitiv mitnimmt: Dass das Opernfach dringend mehr Humor bräuchte; dass es auch dem Publikum gut tut, steife Kleider und Erwartungen einmal zu ignorieren; und dass Asmik Grigorian die erste Sängerin seit Ewigkeiten ist (Ihrem Autor fällt überhaupt keine andere auf diesem Niveau ein), die einen solch kühnen Spagat bravourös bewältigt. Ein Plädoyer für (musikalisch) offene Grenzen.

 

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