Cannes-Gewinner Jafar Panahi: Politik unter Palmen

Gewinner der Goldenen Palme Jafar Panahi – mit Cate Blanchett (li.) und Juliette Binoche.
Trotz eines Stromausfalls, der Cannes und seine südfranzösische Umgebung kurzfristig lahmgelegt hatte, wurde Samstag Abend die Goldene Palme vergeben. Sie ging an Jafar Panahi, den Meister des dissidenten iranischen Kinos für sein großartiges Rache-Roadmovie „It Was Just an Accident“. Panahi erzählt darin – auch mit durchaus komischen Untertönen – von einem Mann, der zufällig auf seinen Folterer aus dem Gefängnis trifft und für das erlittene Unrecht Vergeltung üben möchte. Er kidnappt ihn in seinem Bus mit dem Ziel, ihn umzubringen, doch dann kommen ihm Zweifel: Gemeinsam mit anderen Folteropfern versucht er, sicherzugehen, dass es sich um den richtigen Mann handelt.
Hinter dunklen Sonnenbrillen nahm Jafar Panahi, der lange mit einem Arbeits- und Reiseverbot belegt war und selbst im berüchtigten Evin-Gefängnis gesessen ist, sichtlich gerührt den Höchstpreis des Filmfestivals in Cannes entgegen.

Jafar Panahis „It Was Just an Accident“ gewinnt die Goldene Palme.
Die Entscheidung der Preisjury unter Juliette Binoche kommt nicht überraschend. Panahi gilt als einer der wichtigsten unabhängigen Filmemacher im Iran und hat bereits für seinen Debütfilm „Der weiße Ballon“ 1995 die Goldene Kamera in Cannes gewonnen. Seitdem steht er im Preisregen und gewann unter anderem 2015 in Berlin den Goldenen Bären für seine Dokufiktion „Taxi Teheran“, 2018 den Preis für Bestes Drehbuch in Cannes für „Drei Gesichter“.
Erstmals seit 15 Jahren konnte Jafar Panahi wieder selbst zu einem internationalen Filmfestival anreisen und seinen Preis persönlich in Empfang nehmen.
Diktatur, Folter und Krieg – in der Gegenwart und in der Vergangenheit – zählten mit zu den bestimmenden Themen, die sich durch das diesjährige Programm des 78. Filmfestivals in Cannes zogen. Der brasilianische Regisseur Kleber Mendonça Filho war in seinem exzellenten Spionage-Thriller „The Secret Agent“ in die Jahre der Militärdiktatur in Brasilien eingetaucht und wurde dafür mit dem Preis Beste Regie belohnt. Sein charismatischer Hauptdarsteller Wagner Moura, der Star aus der Netflix-Serie „Narcos“, erhielt die Auszeichnung für Besten Schauspieler. Als Beste Schauspielerin konnte sich die Französin Nadia Melliti in dem queeren Familiendrama „Petite Dernière“ von Hafsia Herzi profilieren.
Geburtstagstorte für Saddam Hussein
Viel Grund zum Feiern hatte auch der irakische Filmemacher Hasan Hadi: Nicht nur war sein hinreißender Film „The President’s Cake“ der erste irakische Film, der je im Rahmen des Festivals in Cannes gezeigt wurde. Seine zartfühlende Geschichte über ein mittelloses neunjähriges Mädchen, das anlässlich des Geburtstages von Saddam Hussein eine Geburtstagstorte backen muss, wurde mit der Goldenen Kamera für das beste Debüt ausgezeichnet.

Regisseur Joachim Trier gewinnt für sein Familiendrama "Sentimental Value“ Preis der Großen Jury.
Bereits 2021 feierte der norwegische Regisseur Joachim Trier mit „Der schlimmste Mensch der Welt“ einen Triumph, seine Hauptdarstellerin Renate Reinsve wurde damals als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Mit seinem neuen Familiendrama „Sentimental Value“ kehrte Trier nun zurück und stellte erneut Renate Reinsve in den Mittelpunkt – an der Seite des schwedischen Schauspiel-Stars Stellan Skarsgård. Er verkörpert einen Regisseur, sie seine entfremdete Tochter, von Beruf Schauspielerin. Gekonnt baut Joachim Trier ein vielschichtiges Familiendrama um den Vater-Tochter-Konflikt und erhielt dafür den zweithöchsten Preis in Cannes: den Großen Preis der Jury.

Preis der Jury: Mascha Schilinski für„In die Sonne schauen“.
Ebenfalls nicht beklagen kann sich die deutsche Regisseurin Mascha Schilinski, deren Generationenporträt „In die Sonne schauen“ vielfach als eine der bemerkenswertesten Arbeiten des Wettbewerbs gepriesen wurde. Über mehrere Zeitebenen hinweg – beginnend im deutschen Kaiserreich bis hin zu den 1970er-Jahren in der DDR – beobachtet sie das Familienleben in einem altmärkischen Vierkanthof. Eine der vier Frauen, die Schilinski in den Blick nimmt, wird gespielt von der Wienerin Susanne Wuest: Im strengen Korsett der Vorkriegszeit verkörpert sie eine Mutter, die über den Verlust ihres verstorbenen Kindes nicht hinweg kommt. Krankheit, Tod und Gewalt durchdringen die assoziativen Bilder von Mascha Schilinski, die dafür den Preis der Jury gewann.
Diesen muss sie sich mit dem Spanier Oliver Laxe teilen, dessen Rave-Roadmovie „Sirât“ ebenfalls Furore machte. Laxe treibt eine Gruppe von Aussteigern mit Techno-Beats bis zum grotesk-bitteren Ende durch die marokkanische Wüste.
Und schließlich kamen auch altbekannte Cannes-Veteranen zum Zug: Die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne erhielten den Preis für Bestes Drehbuch für ihr ergreifendes Drama „Jeunes Mères“, in dem vier Teenage-Mädchen viel zu früh Mutter werden. Alles in allem eine gelungene Auswahl an preiswürdigen Filmen. Auf Juliette Binoche ist eben Verlass.
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