„Ist nicht alles viel komplexer als nur schwarz und weiß?“

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Georg Nigl und Nicholas Ofczarek am Nationalfeiertag wieder in der Staatsoper mit „Die letzten Tage der Menschlichkeit?“.

„Die Weltlage schreit zurzeit geradezu nach einem Feuilletonisten wie Karl Kraus“, sagt Georg Nigl. Der Bariton ist Teil des Trios mit Nicholas Ofczarek und Vladimir Jurowski (Piano), das am 26. 10. (11 Uhr) in „Die letzten Tage der Menschlichkeit?“ in der Oper Musik von Gustav Mahler und Hanns Eisler Texte des Fackel-Herausgebers gegenüberstellt.

Schon im Titel steht am Schluss ein Fragezeichen.

„Denn unsere Aufgabe ist nicht, ideologisch zu agieren. Das Publikum kann sich selbst beantworten, ob es sich wiedererkennt, ob es Mechanismen, Konfusionen, Widersprüche erkennt, die wir setzen. Aber ohne Wertung“, sagt Ofczarek nach Proben als Richard III. im KURIER-Gespräch.

„Genau diese Fragen bleiben dem Publikum überlassen. Sonst wäre es ja eine Bevormundung, die mir persönlich sehr auf die Nerven geht, wenn ich Kunst anschaue und gleich die Message mitgeliefert bekomme.“

Theater als Gegenentwurf

Was ist „Letzte Tage der Menschlichkeit?“ Ein Mix aus Text und Musik? „Wir drei machen etwas miteinander. Es ist keine Lesung mit Musik und kein Liederabend mit Lesung. Es ist einfach eine Theatervorstellung“, so Nigl, ein Fan von Eisler, der in der öffentlichen Wahrnehmung häufig im Schatten von Bert Brecht stand und „bis zum Gehtnichtmehr missverstanden wurde. Der Eisler hat wunderschöne Musik geschrieben, das ist zum Teil fast Popmusik – im Gegensatz zu vielen E-Musik-Komponisten des 20. Jahrhunderts hat er das auch gekonnt. Er hat sich dieses U und E immer offengelassen.“

„Leider nichts gelernt“

Hochaktuell ist auch wieder das Brecht-Zitat „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, das die grundlegenden Lebensbedürfnisse über moralische Werte stellt.

„Brecht hat ja auch ,An die Nachgeborenen‘ geschrieben. Wenn ich diesen Text lese, wie er hofft, dass das, was sie gemacht haben, nicht wieder passiert, komme ich in Versuchung, an seinen Sarg zu klopfen und zu sagen: Tut mir leid, wir haben aus manchen Dingen leider nichts gelernt“, sagt der Sänger und sieht Theater als einen Gegenentwurf.

„Wir haben doch verlernt, wirklich miteinander zu reden. Ich glaube, der FPÖ-Obmann Herbert Kickl findet es wahnsinnig geil, wenn er alle beschimpft. Aber ist das wirklich so geil? Bringt uns das wirklich zusammen?“

Alles ist komplexer als nur schwarz und weiß. Ofczarek: „Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte. Und ein Krieg oder eine Gesellschaft, die in Schieflage gerät, ist ein sehr komplexes Gebilde. Da gibt es keine einfachen Antworten. Wenn man ein bisschen nachdenkt über sein Leben oder die Welt jetzt und vergleicht mit der Welt damals: Auf welche Erkenntnisse man auch immer kommt, wir wollen keine bestimmte Erkenntnis vermitteln.“

Und wann ist ein Live-Auftritt gelungen? Ofczarek: „Wenn es nicht heißt: Die haben toll gesungen, gespielt und gelesen. Sondern wenn sich die Leute über den Inhalt unterhalten und nicht über uns. Dann bin ich glücklich.“

www.wiener-staatsoper.at

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