"Die Klassik geht viel zu stark Richtung Pop-Business"

Ein Mann mit Brille und grauem Haar hat seine Hand an die Wange gelegt.
Die ersten Premieren sind vorbei, jetzt warten Opernliebhaber auf einen mutmaßlichen Höhepunkt: "Fidelio". Franz Welser-Möst, der heuer auch den "Rosenkavalier" leitet, im Interview.

KURIER: Herr Welser-Möst, Sie dirigieren am Dienstag die Festspielpremiere von Beethovens "Fidelio" mit Jonas Kaufmann und Adrianne Pieczonka. Claus Guth führt Regie. "Fidelio" ist wahrscheinlich jenes Werk, das szenisch am öftesten schiefgeht. Woran liegt das?

Franz Welser-Möst: "Fidelio" ist ja keine richtige Oper. Ich nenne es immer "Musik mit einer Handlung". Die Figuren sind in erster Linie dazu da,eine philosophisch-politische Idee zu transportieren. Man muss nur die Ode "Prometheus" von Goethe lesen, um zu wissen, worum es in "Fidelio" geht. Da kann man nicht szenisch politische Bewegungen wie den IS auf die Bühne stellen, sondern muss versuchen, den Traum der Leonore klar zumachen. Das ist ein Sisyphus-Unternehmen.

Eine Bühnenszene mit fünf Darstellern vor einer weißen Wand.
Singers Paul Lorenger as Pizarros Schatten, Jonas Kaufmann as Florestan, Hans Peter Koenig as Rocco, Adrianne Pieczonka as Leonore and Nadja Kichler as Leonores Schatten (L-R) perform on stage during a dress rehearsal of Ludwig van Beethoven's opera "Fidelio" in Salzburg, Austria July 29, 2015. The opera is conducted by Franz Welser Moest and will premiere as part of the annual cultural Salzburg Festival on August 4, 2015. Picture taken July 29, 2015. REUTERS/Leonhard Foeger
Sie haben bei dieser Produktion eine Topbesetzung. Warum ist es aber grundsätzlich heute so schwierig, dafür die richtigen Sänger zu finden?

Eine deutsche Spieloper in einer rein deutschsprachigen Besetzung ist fast nicht mehr machbar. Bei der "Zauberflöte" zum Beispiel ist die Realisierung oft am Rande der Peinlichkeit. Früher hat auch Pathos niemanden gestört. Heute belustigt das die Leute, die nur noch vom Fernsehen und vom Kino geprägt sind. Ein dicker Sänger etwa wird oftmals abgelehnt. Ich habe zuletzt an der Mailänder Scala Fabio Sartori als Radames und Cavaradossi gehört. Sartori hat heute die einzige echt italienisch klingende Stimme im Tenorfach von Weltformat. Aber aufgrund seines Aussehens hat er geringere Chancen auf einen Durchbruch als Kaufmann. Kaufmann ist ein begnadeter Künstler in jeder Hinsicht. Ich bin ein Fan von Beginn an, lange bevor alle Kaufmann-Fans wurden. Die visuelle Wahrnehmung jedoch dominiert viel zu sehr. Viele Menschen hören heute leider nicht mehr zu, sondern schauen nur noch zu. Das geht hin bis zu Dirigenten.

Sie haben im vergangenen Sommer in Salzburg sehr erfolgreich den " Rosenkavalier" dirigiert – das war Ihre letzte Premiere am Pult der Wiener Philharmoniker vor Ihrem Rückzug als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper. Der "Fidelio" ist nun die erste Premiere mit den Philharmonikern nach dem Rückzug. Wie empfinden Sie diese Rückkehr?

In der Zwischenzeit habe ich auch am Philharmoniker- Ball dirigiert. Und zuletzt im Juni die Tournee nach Skandinavien. Es ist immer eine große Freude, mit diesem Orchester zu arbeiten – und das "heimische" Repertoire zu erarbeiten. Aber auch diese Musiker muss man bei einem "Rosenkavalier" mit seinem wienerischen Kern fordern. Ich bin kein musikalischer Nationalist oder gar Rassist, im Gegenteil. Aber man merkt auch bei den Wiener Philharmonikern die Internationalisierung des Klanges. Viele junge Musiker sind mit dieser Sprache nicht aufgewachsen.

Ein Dirigent mit Brille leitet ein Orchester.
ABD0210_20150729 - SALZBURG - ÖSTERREICH: Dirigent Franz Welser-Möst am Mittwoch, 29. Juli 2015, während der Fotoprobe zu Beethovens "Fidelio" im Grossen Festspielhaus. Die Premiere findet am 4.8.2015 statt. - FOTO: APA/BARBARA GINDL
Das Kernrepertoire eines Orchesters war zuletzt auch Thema bei der Bestellung von Kirill Petrenko zum Chef der Berliner Philharmoniker. Was halten Sie von dieser Wahl?

Ich finde sie toll! Und am tollsten daran finde ich: Sie ist rein künstlerisch motiviert und folgt keinen Klischees. Bei jeder anderen Entscheidung hätte man irgendetwas mutmaßen können. Die Berliner sind ein Flaggschiff, da ist es nicht egal, wohin die Reise geht. Das ist wichtig für den ganzen Betrieb. Wir haben Jahrzehnte hinter uns, wo alles andere wichtiger war.

Nach der Bestellung von Petrenko wurde allen Ernstes thematisiert, dass nun ein weiterer "Jude in Berlin" eine Spitzenfunktion habe. Ihre Reaktion darauf?

Dieses Anstreifen am Antisemitismus halte ich für skandalös. Selbstverständlich aus politischen, aber auch als künstlerischen Gründen. Wer so argumentiert, stellt die Kunst nicht an die erste Stelle. Auch der Vorwurf an ihn, dass er wenig Symphonisches und vor allem Oper dirigiert hat und deshalb vielleicht "schludrig" agiert, ist ein Unsinn. Wer so argumentiert, hat keine Ahnung. In der Oper lernt man das Handwerk.

Was machen Sie eigentlich mit all der Zeit, die Sie durch Ihren Rückzug von der Wiener Staatsoper gewonnen haben?

Es ist eine wunderschöne Freiheit, endlich wieder Raum für kreatives Denken zu haben, nicht andauernd in dieser Mühle zu sein, in der man gegen vieles ankämpft. Ich habe auch wieder mehr Zeit, mein Privatleben zu genießen. Diesen Freiraum möchte ich nicht mehr aufgeben. Ich bin nun seit genau 30 Jahren in diesem Geschäft – da muss man auch Neues ausprobieren und nicht immer alles wiederholen.

Szenenfotos aus dem Salzburger "Fidelio"

Ein barfüßiger Mann kniet auf einer Bühne, während ein Mann in Schwarz an eine Wand gelehnt im Hintergrund steht.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Eine Frau reicht einem am Boden liegenden Mann eine Flasche Wasser.

Pieczonka and Kaufmann perform on stage during a d
Eine Frau in einem beigen Mantel und ein barfüßiger Mann stehen sich auf einer Bühne gegenüber.

Pieczonka and Kaufmann perform on stage during a d
Eine Reihe von Silhouetten von Männern in Mänteln steht in einem hell erleuchteten Raum.

Singers perform on stage during a dress rehearsal
Szene mit drei Darstellern auf einer dunklen Bühne.

Pieczonka, Koenig and Kaufmann perform on stage du
Ein Mann in einem langen Mantel und Sonnenbrille steht vor einer Wand, auf die sein Schatten geworfen wird.

Konieczny performs on stage during a dress rehears
Eine Frau zielt mit einer Pistole auf zwei Männer in Mänteln.

Singers Pieczonka, Konieczny and Lorenger perform
Eine Opernszene mit einer Gruppe von Sängern in schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen auf einer Bühne.

Konieczny and Kaufmann perform on stage during a d
Eine Frau in einem Trenchcoat steht auf einer Bühne, während eine zweite kniet und singt.

Pieczonka and Kichler perform on stage during a dr
Zwei Männer in schwarzen Mänteln stützen einen Mann mit Bart und grüner Jacke.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Eine Frau in einem beigen Mantel und zwei Männer in schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen auf einer Bühne.

Pieczonka, Konieczny and Lorenger perform on stage
Eine Gruppe von Männern in schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen steht auf einer Bühne.

Singer Konieczny performs on stage during a dress
Eine Theaterszene mit einem Mann in Alltagskleidung vor einer Gruppe von Männern in schwarzen Mänteln und Sonnenbrillen.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Vier Darsteller stehen auf einer Bühne und singen.

Pieczonka, Konieczny, Kaufmann and Holecek perform
Auf einer Bühne stehen Schauspieler unter einem großen Kronleuchter.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Eine Theaterszene mit fünf Darstellern auf einer schrägen Bühne vor einer weißen Wand.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Auf einer Bühne stehen zwei Schauspieler vor einer Wand, auf die Schatten projiziert werden.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Drei Personen auf einer schrägen, gefliesten Fläche vor einer weißen Wand.

Singers Koenig, Kaufmann and Pieczonka perform on
Eine Frau in einem Trenchcoat steht auf einer Bühne, während ein Mann aus einer dunklen Öffnung auftaucht.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Eine Frau im Mantel stützt einen barfüßigen Mann auf einer Bühne, beide singen.

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE "FIDELIO"
Eine Bühnenszene mit fünf Darstellern vor einer weißen Wand.

Singers Lorenger, Kaufmann, Koenig, Pieczonka and

Wenn Sie diese Zeit Revue passieren lassen: Was hat sich in diesen 30 Jahren am schlimmsten verändert?

Aufgrund des Niedergangs des CD-Geschäftes geht die Klassik viel zu stark in Richtung Pop. "Hochhackige Maultrommelspielerinnen" sind gefragt. Aus meiner Sicht sollte man auch akustisch nicht versuchen, mit dem Popbusiness zu konkurrieren. Es geht darum, in dieser lauten Phase eine Oase zu bieten. Es geht um die Hinwendung zur Subtilität. Es war auch in Cleveland für mich etwa eine jahrelange Arbeit, ein solches Pianissimo, für das das Orchester heute gerühmt wird, zu erreichen. Zuletzt hat die New York Times geschrieben: Das ist das beste Orchester Amerikas. So etwas geht nicht über Nacht.

Sie sind seit 13 Jahren in Cleveland. Wie lange läuft Ihr Vertrag als Chefdirigent noch?

Bis 2022. Und die Musiker fragen jetzt schon, ob ich nicht noch weiter verlängern will. Das ist eine wirklich toll funktionierende Partnerschaft.

Sie spielen mit dem Cleveland Orchestra immer wieder auch Oper, szenisch wie konzertant. Was ist diesbezüglich als nächstes geplant?

Das machen wir seit 2003 jedes Jahr. Begonnen haben wir mit "Don Carlo", zuletzt gab es "Daphne". 2018, wenn das Orchester sein 100-Jahr- Jubiläum feiert, werden wir einen neuen "Tristan" in der Inszenierung von Pierre Audi spielen. Nina Stemme wird die Isolde sein.

Und was planen Sie an den großen Opernhäusern?

Die Palette von Vorstellungen an den Opernhäusern in München, Mailand sowie bei den Salzburger Festspielen erstreckt sich von Mozart bis Wagner und Strauss und inkludiert auch Zeitgenössisches.

Zurück zu Cleveland: Warum ist ausgerechnet diese Stadt der richtige Platz für so ein Toporchester?

Als das Orchester gegründet wurde, war Cleveland die fünftgrößte Stadt der USA, heute ist sie auf Platz 45. Es gibt fünf Milliardäre im Großraum Cleveland, in New York sind es Hunderte. Aber die ganze Stadt steht hinter dem Orchester. Man ist stolz darauf. In den USA versteht man auch, dass es Spitzenprodukte nicht gibt, wenn nicht investiert wird. In Cleveland gibt es drei Top-Institutionen: Die Cleveland Clinic mit 35.000 Angestellten, unser Orchester und ein fabelhaftes Museum, für dessen Zubau innerhalb von fünf Jahren 250 Millionen Dollar gesammelt wurden. Im Gegensatz zu Österreich gibt es da keinen Neid auf Spitzenleistungen.

Welche Relevanz hat ein Symphonieorchester im 21. Jahrhundert für junge Menschen?

Man muss ihnen etwas anbieten, was sie sonst in diesem Trubel kaum finden können: zeitlose Qualität. 20 Prozent unseres Publikums jünger als 25 Jahre.

Amerikanische Orchester leben von privaten Geldern, in Österreich klagen immer mehr Kulturinstitutionen über mangelnde öffentliche Subventionen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Wenn wir etwa von Salzburg sprechen: Es stimmt einfach nicht, dass der Steuerzahler die Festspiele unterstützt. Die Festspiele zahlen ein Vielfaches zurück. Leider schränkt die ökonomische Frage oftmals den Spielraum an Kreativität mehr und mehr ein. Wir verwalten uns zu Tode. Das betrifft natürlich auch andere Institutionen wie die Wiener Staatsoper. Ich habe auch zu Kulturminister Josef Ostermayer gesagt: Eine Institution muss gestaltet, nicht verwaltet werden. Und man darf sein Publik um nie unterfordern.

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