Filmkritiken der Woche: Schlampe – na und?
"Ein leichtes Mädchen"
Obwohl Natalie Portman die Hauptrolle spielte, fiel Rebecca Zlwotowskis letzter Film „Planetarium“ bei der Kritik durch. Umso triumphaler geriet ihre Rückkehr in Cannes mit „Ein leichtes Mädchen“, einer bittersüßen, in goldenes Licht getauchten Coming-of-Age-Geschichte.
Auch hier ist die Hauptdarstellerin berühmt, wenngleich in anderen Bereichen als Portman. Zahia Dehar ist ein französisch-algerisches Model und eine Lingerie-Designerin und wurde 2009 als Minderjährige durch den Escort-Skandal um die französische Fußballnationalmannschaft bekannt.
Dieses Image ist eng mit ihrer Rolle in „Leichtes Mädchen“ verknüpft: Dehar spielt Sofia, eine 22-jährige junge Frau, die den Sommer über ihre Cousine Naima besucht und Ferien macht.
Naima – aus deren Perspektive erzählt wird – ist begeistert, als die Cousine in der bescheidenen Hochhaussiedlung am Rande von Cannes auftaucht. Sofia hat kürzlich ihre Mutter verloren, und ab und zu zieht sich ein Schleier der Trauer über ihr Gesicht. Zumeist aber zeigt sie ihre Sexy-Seite: Sie trägt fast durchsichtige Kleider, die den Blick auf Busen und Stringtanga frei geben, verengt sich mit Klebestreifen die Augen („Das Geheimnis von Sophia Loren!“) und macht die Männer verrückt.
Neben ihr sieht Naima in ihrem Jeans-Röckchen aus wie ein pummeliger Teenager. Sofia badet in ihrer Sexualität und macht aus ihrem Anliegen keinen Hehl: „Ich pfeif’ auf die Liebe. Ich brauche das Abenteuer.“
Reich und schön
Wenn zurückgewiesene junge Männer sie als Schlampe beschimpfen, ist ihr das egal. Sofia hat größere Fische an der Angel: einen Jachtbesitzer und Kunstsammler namens Andres, zum Beispiel.
Andres ist ein fescher Mittvierziger, kreuzt das Mittelmeer und trifft andere reiche Menschen. „Ich verstehe mich aufs Kaufen“, erklärt er Sofia – und es liegt auf der Hand, dass die beiden ins Geschäft kommen werden. Rebecca Zlotowski verzichtet auf moralische Beurteilungen. Vielmehr interessiert sie sich für das Reiz-Reaktionsschema zwischen Status, Sex, Geld und Käuflichkeit.
Die Lust an Luxus und schönen Oberflächen spiegelt sich auch in ihren Bildern wider: Begehrlich umstreicht die Kamera den Körper der jungen Frau wie einst den von Brigitte Bardot in Godards „Die Verachtung“.
Musik von Debussy, Vivaldi oder Chet Baker lädt die sommerlichen, fließenden Bilder mit schwebender Zeitlosigkeit auf.
Gemeinsam mit Naima eröffnet sich Sofia luxuriöse Orte, die ihr eigentlich verwehrt sind. Missbilligend beobachtet das Hotelpersonal die jungen Frauen beim Feiern mit den Reichen und Schönen. Zlotowski treibt ein cleveres Spiel mit Vorurteilen. Eine Sammlerin lädt Andres auf ihren Landsitz und beginnt, provoziert von der Freizügigkeit seiner Begleiterin, diese latent zu attackieren: Ach, Sofias Lieblingsautorin ist Marguerite Duras? Nicht möglich. Was für ein Buch gefällt dir am besten?
Sexy, aber dumm – die Annahme steht im Raum und wird elegant pariert.
„Das Wichtigste im Leben ist die Wahl eines Berufes. Der Zufall entscheidet darüber“, zitiert Zlotowski gleich am Anfang ihres Filmes Blaise Pascal. Sofia hat ihre (vorläufige) Berufung gefunden. Am Ende des Sommers wird auch Naima wissen, was sie einmal werden will.
INFO: F 2019. 92 Min. Von Rebecca Zlotowski. Mit Mina Fahrid, Zahia Dehar, Benoit Magimel, Nuno Lopes.
Filmkritik zu "Hustlers": Stripperinnen nehmen Wallstreet-Banker aus
Wer konnte ahnen, dass Jennifer Lopez ihr Film-Comeback ausgerechnet als Stripperin feiern würde? In einem fulminanten Solo-Auftritt in einem Stripclub wickelt sie sich als Ramona gekonnt um eine Pole-Stange, schwingt die Beine, sinkt in den Spagat und wackelt mit dem Hintern, bis die Männer toben. Es regnet Dollarscheine.
Hustlers
Auch die junge Tänzerin Destiny ist begeistert. Sie wird Ramonas Freundin – und gemeinsam mit ein paar Kolleginnen beginnen sie, reiche Wallstreet-Banker auszunehmen wie Weihnachtsgänse.
Regisseurin Lorene Scafaria inszeniert ihr flott erzähltes Stripper-Heist-Drama mit einem charismatischen Frauenensemble und vermeidet weitgehend Tiefgang. Ernsthaftere Fragen werden nicht gestellt; dazu sind alle zu sehr mit Shopping beschäftigt.
INFO: USA 2019. 107 Min. Von Lorene Scafaria. Mit Jennifer Lopez, Constance Wu, Lili Reinhart.
Filmkritik zu "Die schönste Zeit unseres Lebens": Rendezvous mit der Vergangenheit
Die Geschäftsidee ist genial: Für viel Geld wird dem Kunden seine Lieblingsepoche nachgestellt – mit Schauspielern, Schauplätzen und allem Drum und Dran.
Der frustrierte Karikaturist Victor (Daniel Auteuil) wünscht sich das Jahr 1974 zurück, in dem er in einem Café seine Frau kennen gelernt hat. Er spielt die Situationen in historischem Setting noch einmal durch – und verliebt sich prompt in die Schauspielerin, die seine Frau darstellt. Das alte Klischee, wonach sich ein Mann in die jüngere Version seiner Frau verliebt, nützt Regisseur Nicolas Bedos für seine smart konstruierte, breitflächig unterhaltsame Komödie mit Nostalgie-Bonus.
INFO: F 2019. 116 Min. Von Nicolas Bedos. Mit Daniel Arteuil, Fanny Ardant.
Filmkritik zu "Der Taucher": Gewalttätiger Musiker hat Angst um seine Karriere
Von inniger, manchmal selbstzerstörerischer Liebe über die Konflikte im familiären Zusammenhalt bis hin zu blutrünstiger Rivalität – Mütter und Töchter liefern oftmals mitreißende Geschichten.Umso mehr, wenn ein gewalttätiger Mann im Spiel ist – oder sich zwischen die beiden drängen will. Der neue Spielfilm des bisher in erster Linie für seine Kurz- und Dokumentarfilme bekannten österreichischen Regisseurs Günter Schwaiger liefert zu diesem Thema eine eigenwillige Variante.
Der Taucher
Da Lena vor drastischen Mitteln nicht zurückscheut, um Pauls Kontaktaufnahme zu verhindern, gerät das innige Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ins Wanken. Franziska Weisz verkörpert die Rolle der Irene mit unprätentiöser Eindringlichkeit und ist damit der größte Pluspunkt dieses Films.
Text: Gabriele Flossmann
INFO: Ö 2019. 90 Min. Von Günter Schwaiger. Mit Franziska Weisz, Julia Franz Richter.
Kommentare