So gesehen ist „Im letzten Sommer“ Breillats Comeback-Film – und zugleich das Remake des dänischen Erotikthrillers „Königin“ von 2019.
Wie auch im Original, erzählt Breillat von der inzestuös angehauchten Beziehung zwischen einer fünfzigjährigen Frau und ihrem 17-jährigen Stiefsohn. Anstelle von Trine Dyrholm hat nun die herausragende Léa Drucker die Rolle der Anne, einer erfolgreiche Familienanwältin übernommen, die sich auf die Verteidigung jugendlicher Missbrauchsopfer spezialisiert hat. Anne genießt mit ihrem älteren Mann Pierre und ihren zwei herzigen Adoptivkindern in einem luxuriösen Landhaus ein wohlhabend beschauliches Leben.
In lichten, luftigen Bildern entwirft Breillat eine Welt von bourgeoiser Ordnung, in die sich die blonde Anne mit ihren beigen Etuikleidern und den ewigen Stöckelschuhen nahtlos einfügt. Kann schon sein, dass es manchmal langweilig wird im Beisein von Pierre und seinen braven Freunden, die Anne gerne als „Normopathen“ diffamiert. Zum Glück aber ist immer ein Glas Weißwein zur Stelle, an dem man sich notfalls anhalten kann.
Alles ändert sich, als der 17-jährige Sohn Théo aus Pierres erster Ehe bei ihnen auftaucht. Er wurde aus der Schule geworfen und macht aus seinem langjährigen Groll gegen seinen Vater kein Hehl.
Anne kann gut mit dem rebellischen Teenager umgehen – der übrigens auch ein reges Sexleben führt – und wird bald seine Vertraute. Bis sich die Stiefmutter-Sohn-Grenzen langsam zu verschieben beginnen.
Jugendliche Schönheit
Samuel Kircher, der kleine Bruder von Paul Kircher (siehe Filmkritik zu „Animalia“ rechts), trabt mit nacktem Oberkörper und brünettem Lockenkopf wie ein junger Amor durchs Wohnzimmer und fordert die kühle Anne mit seiner jugendlichen Schönheit heraus.
Während im dänischen Original die Frau als Jägerin auftritt, will Breillat die Geschichte noch einmal erzählen – aber diesmal mit dem Buben als Verführer.
Wer jedoch von Breillat explizite Sexszenen erwartet, wird enttäuscht, denn die Regisseurin inszeniert die Affäre in langen, statischen Einstellungen. Ihren Figuren rückt sie mit Großaufnahmen auf deren ekstatische Gesichter nahe und stellt so Intimität her.
Als die Liaison aufzufliegen droht, wehrt sich Anne mit allen Mitteln. Es gehört zu den stärksten Momenten, wenn Léa Drucker innerlich zu erglühen beginnt, um dann eiskalt zu reagieren.
Verwandelt sich Liebe in Verrat? Wie zu erwarten, wird man bei Catherine Breillat keine Verurteilungen finden. Anstelle von konventionell moralischem Schwarz-weiß sucht sie jene Grautöne, in denen das Begehren Grenzen aufweicht und man am Ende selbst nicht mehr weiß, auf wessen Seite man stehen soll.
INFO: F 2023. 104 Min. Von Catherine Breillat. Mit Léa Drucker, Samuel Kircher.
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