Filmkritik zu "Hereditary - Das Vermächtnis": Familien-Horror

Toni Colette als überforderte Mutter in "Hereditary - Das Vermächtnis"
Ein düsterer, übersinnlicher und krasser Psycho-Horror-Thriller spaltet Kritik und Publikum.

Und wieder ein (kleiner) Box-Office-Horror-Hit: Diesmal hört er auf den Namen „Hereditary“, spielte für sein moderates Genre-Format immerhin 13 Millionen Dollar am ersten Wochenende ein und spaltete Kritik und Publikum.

Während die professionellen Kinogeher den düsteren, unberechenbaren und letztlich etwas absackenden Familien-Horror als vielschichtigen Trauma-Trip Richtung Hölle schätzen, hält ihn das Multiplex-Publikum weitgehend für eine echte Provokation. Gereizte Reaktionen ließen sich gut bei einer Premiere beobachten, wo die Leute während der Vorstellung begannen, halblaute Witze zu reißen und mit der Leinwand zu schimpfen.

Irre

Tatsächlich hat „Hereditary“ wenig Mainstream-Appeal, und wer sich trotzdem hineinsetzt, sollte das im Voraus wissen. Kein cooles Gruselprogramm mit wohligen Gänsehauteffekten läuft ab, sondern eine irritierend unangenehme Psycho-Geisterbahnfahrt mit herben Schockeffekten.

Alles fängt mit dem Tod an. Die Großmutter einer vierköpfigen Familie ist gestorben, aber so richtig traurig ist niemand. Nicht die eigene Tochter Annie – eine Toni Colette mit rollenden Augen –, und auch nicht der Enkelsohn Peter. Einzig die Enkelin scheint betroffen, doch die 13-Jährige wirkt insgesamt leicht irre. Mit einem schrägen Gesicht, das an die unheimliche Version einer Porzellanpuppe erinnert, schleicht das Mädchen über den Schulhof und schneidet toten Tauben die Köpfe ab.

Regisseur Ari Aster beweist in seinem Debütfilm eine sichere Hand für (Horror-)Filmgeschichte. Weichgezeichnete, matte Polaroid-Farben und überbelichtete Bilder knüpfen stilsicher an eine Ästhetik der 70er-Jahre an. Wie von Geisterhand bewegt sich die Kamera durch die sinistren Räume der einsamen Villa, in der sich kein rechtes Familiengefühl einstellen will. Die zunehmend bedrückende Handlung, die von großen emotionalen Verlusten geprägt ist, unterlegt der brillante Saxophonist Collin Stetson mit lauerndem Schrecken.

Zungenschnalzen

Anfänglich bleiben die formalen Tricks, die Aster zur Anwendung bringt, allzu vordergründig. Doch dann intensiviert sich das angewandte Horror-Vokabular zum bestürzenden Familienporträt.

Kleine Effekte wie leises Zungenschnalzen, wenn man es am wenigsten erwartet, variiert mit krassen Horrorbildern von abgeschnittenen Köpfen, aus denen Ameisen quellen. Dabei schrammt Aster oft haarscharf und wohl auch bewusst an der Selbst-Parodie vorbei, was im Multiplex-Kino höhnisches Gelächter hervor rief. Doch wer dabei bleibt, wird in eine hilflos psychotische Familienstruktur hineingezogen und mit subtilem Grauen versorgt. Besonders die Mutter Annie bleibt in ihrer Hysterie rätselhaft: Schützt sie ihre Kinder oder will sie ihnen Übles? Sind ihre Geisterbeschwörungen großer Mutterliebe geschuldet oder wilder Mordlust?

Gegen Ende schlägt das angespannte Familienmelodram bizarre Haken und macht seine Verbeugungen in Richtung „Rosemary’s Baby“ und „Omen“. Das kann man gewagt finden oder misslungen, eins ist sicher: Familie ist der Horror.

INFO: USA 2018. 127 Min. Von Ari Aster. Mit Toni Colette, Gabriel Byrne.

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