Filmkritik zu "Fremont": Schlaflos im amerikanischen Traum
Wie in einem frühen Film von Jim Jarmusch: Anaita Wali Zada und Jeremy Allen White in der melancholisch-komischen Migrationsgeschichte „Fremont“
Das berühmte Glückskeks – es ist der krönende Abschluss jedes chinesischen Essens. Vorsichtig muss man es in der Mitte brechen, um einen weißen Papierstreifen herauszuziehen. Darauf stehen geistreiche Lebensweisheiten wie „Sie werden exotische Reisen unternehmen“, oder: „Manche sehnen sich nach Glück, Sie erschaffen es.“
Die Kunst des Schreibens der Glücksbotschaft ist nicht zu unterschätzen. Sie darf nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz, weder zu eindeutig, noch zu optimistisch und schon gar nicht zu originell sein. In einer Glückskeksfabrik in Fremont, nahe San Francisco, hat der chinesische Besitzer eine neue Autorin für die Beschriftung seines Backwerkes engagiert. Donya, eine junge Afghanin, dichtet hintergründig: „Das Glück, das Sie suchen, ist in einem anderen Keks.“
Irgendwo zwischen dem wortarmen Humor von Aki Kaurismäki und den lakonischen Bildern der frühen Jim-Jarmusch-Filme bewegt sich der vierte Film von Babak Jalali. Der iranisch-britische Regisseur beschickte mit „Fremont“ das renommierte Sundance-Filmfestival und rief damit den Low-Budget-Geist des amerikanischen Independent-Kinos der 80er- und 90er-Jahre wach. Aus seinen kargen Schwarz-Weiß-Bildern sticht ein kleines Spitzen-Ensemble heraus, das die Monotonie der Handlung mit charismatischem Spiel und trockenem Witz durchlöchert.
Kann nicht schlafen: Newwomerin Anaita Wali Zada als Donya in "Fremont"
Die afghanische Darstellerin Anaita Wali Zada passt mit ihrer stoischen Mine besonders gut in die Hauptrolle, nachdem ihre eigene dramatische Flucht vor den Taliban aus Afghanistan mit der Migrationsgeschichte von Donya korrespondiert.
Besuch beim Psychiater
Donya arbeitete als Dolmetscherin für das US-Militär in Kabul und musste nach der Machtergreifung der Taliban das Land verlassen. In letzter Sekunde schaffte sie es auf einen Flug Richtung Amerika, während andere Kollegen getötet wurden. Donya landet in der kalifornischen Stadt Fremont in der Bucht von San Francisco, wo tatsächlich die größte afghanische Community von Nordamerika lebt. Dort im Gemeindebau ist sie umgeben von anderen Afghanen, die ebenfalls ihr Migrationspäckchen zu tragen haben.
Tagsüber hängt Donya in der chinesischen Glückskeksfabrik mit ihrer amerikanischen Freundin Joanna ab, nachts kann sie nicht schlafen. Ein erschummelter Psychiaterbesuch soll mit der Verschreibung von Schlafmitteln Abhilfe schaffen.
Ungewöhnliche Therapiesitzungen beim Psychiater: Anaita Wali Zada und Gregg Turkington in "Fremont"
Die Sitzungen mit Doktor Anthony – umwerfend lustig gespielt von dem US-Komiker Gregg Turkington – erweisen sich als höchst unkonventionell. Um die posttraumatische Belastungsstörung seiner therapieunwilligen Patientin zu lösen, zitiert Doktor Anthony nicht Freud, sondern seinen Lieblingsroman „Wolfsblut“ von Jack London – und rührt sich dabei selbst zu Tränen.
Doch auch ein richtiger „Star“ hat sich unter Jalalis Schauspieler gemischt: Jeremy Allen White, seit der Hit-Serie „The Bear“ Lieblingskoch in der Streamingküche, hat einen kleinen, feinen Überraschungsauftritt als kaffeesüchtiger Mechaniker.
Schwere Themen wie Flucht, Entwurzelung, Schuldgefühle und soziale Einsamkeit versenkt Babak Jalali auf den Grund seines bewusst anti-psychologisch erzählten Trauma-Plots. Dort schimmern sie melancholisch weiter und schenken einer mit skurrilem Humor lapidar erzählten Geschichte nachdenkliche Tiefe.
INFO: USA 2023. 91 Min. Von Babak Jalali. Mit Anaita Wali Zada, Jeremy Allen White, Gregg Turkington.
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