Schon des Öfteren hat die Tochter einer Turiner Industriellenfamilie und Halbschwester von Carla Bruni Sarkozy ihr privilegiertes Leben als schwerreiche Adelige als Stoff ihrer tragikomischen Filme verwendet.
Auch „Forever Young“ ist autobiografisch eingefärbt. Mit fiebriger Kamera und in Nostalgie getränkten, farbstarken Bildern taucht die Regisseurin in die 80er-Jahre ein, eine Zeit, in der man noch in Telefonzellen mit Wählscheiben telefonierte.
Eine junge Frau namens Stella – unschwer als Bruni Tedeschis Alter Ego zu erkennen – steigert sich beim Vorsprechen ganz besonders in ihre Rolle hinein und reißt sich die Kleider vom Leibe. Die Auswahlkommission ist von der aufgewühlten Kandidatin etwas peinlich berührt, nimmt sie aber in die Klasse von Patrice Chéreau auf.
Mitreißende Intensität
Mit unterschwelligem Witz und mitreißender Intensität rekapituliert Bruni Tedeschi die Aufbruchsstimmung einer charismatischen Gruppe junger Menschen und deren Leidenschaft für das Theater. Zudem sorgen erste Liebe, Drogen, sexuelle Freizügigkeit – jeder schläft mit (fast) jedem – und AIDS für Fallhöhe.
Von Intimitätskoordinatoren bei den Proben war damals ebenfalls noch keine Rede: In den Liebesszenen stürzen sich die Studierenden ungebremst aufeinander, die Lehrer befeuern die Exzesse und werden selbst handgreiflich. (Selbst-)entblößung wird als Schlüsselwort für schauspielerische Höchstleistung fetischisiert.
Louis Garrel spielt den Theaterguru Chéreau mit leiser Ironie zwischen Genie(kult), Grausamkeit und Kokain. Seine (übergriffigen) Lehrmethoden suchen die Grenzüberschreitung zwischen Leben und Kunst. Die Inszenierung von Tschechows „Platanow“ wird für seine Schüler und Schülerinnen zur Tour de Force .
Unterdessen beginnt Stella eine leidenschaftliche Affäre mit ihrem Schauspielkollegen Étienne – gespielt von Sofiane Bennacer –, dessen Heroinsucht die Beziehung Richtung Abgrund treibt.
Missbrauchsvorwurf
„Forever Young“ feierte eine umjubelte Premiere in Cannes. Danach allerdings wurde bekannt, dass gegen Sofiane Bennacer wegen sexueller Gewalt gegenüber vier Frauen ermittelt wird.
Die französische Filmakademie reagierte prompt und strich den Jungstar von der Nominiertenliste der „Entdeckungen“; bei der Verleihung des höchsten französischen Filmpreises, dem César, wurde er ausgeschlossen, der Film selbst sieben Mal nominiert. Ein César ging höchst verdient an die herausragende Hauptdarstellerin der Stella, Nadia Tereszkiewicz.
In den französischen Kinos lief „Forever Young“ nach dem Skandal unter den Erwartungen. Nun kann sich das österreichische Publikum selbst entscheiden, ob es Valeria Bruni Tedeschis glühendes Melodram sehen will oder nicht.
INFO: F 2022. 126 Min. Von Valeria Bruni Tedeschi. Mit Nadia Tereszkiewicz, Sofiane Bennacer.
Kommentare