Filmkritik zu "Wilhelm Tell": Farbloser Freiheitskämpfer

Claes Bang als etwas fader Wilhelm Tell.
„Wilhelm Tell“ ist ein Klassiker der Schullektüre. Die Geschichte des Schweizer Freiheitskämpfers, der seinem Sohn mit der Armbrust den Apfel vom Kopf schießen musste, findet sich prominent in Schillers „Wilhelm Tell“ und ist gespickt mit herrlichen Zitaten, die bis heute unseren Sprachschatz erfreuen: „Durch diese hohle Gasse muss er kommen“, zum Beispiel, oder: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Leider findet sich keiner dieser knackigen Sätze in der englischen Originalfassung. Dafür neigt Wilhelm Tell dazu, mit jeder Aussage eine druckreife Stammbuchweisheit von sich zu geben, Marke: „Es sind die Misserfolge, aus denen wir lernen.“ Schnarch.
Nick Hamms opulent-langatmige Hollywood-Version des Rütlischwurs stürzt sich gleich zu Beginn auf die berühmte Apfelszene. In einem Duell der Großaufnahmen starren sich alle Beteiligten feindselig ins Auge: Tell, seine Frau, sein Sohn und Gessler, der bösartige Landvogt der Habsburger. Schweiß rinnt über das Gesicht des zitternden Knaben, während sein Vater den Pfeil auf ihn richtet.
Der dänische Schauspieler Claes Bang spielte bislang die vielleicht beste Rolle seines Lebens als eitler Kunstkurator in Ruben Östlunds „The Square“. Als mittelalterlicher Ex-Kreuzritter William Tell ist er zwar edelmütig und heroisch, leider auch ein wenig fad. Da kann sein Gegenspieler Gessler, zähneknirschend verkörpert von Connor Swindells, in seiner blinden Wut schon etwas mehr bösartiges Charisma entwickeln. Ebenfalls sehenswert Gesslers Chef: Das böse Oberhaupt der österreichischen Habsburger spielt Sir Ben Kingsley mit einem goldenen ... äh ... Glasauge.
Obwohl Tell wiederholt beteuert, wie sehr er Krieg und Gewalt verabscheut, delektiert sich die Schweizer Variante von „Braveheart“ genüsslich in ausufernden Schlachtszenen – mal vor weiten Ansichten pittoresker Gebirgslandschaften, mal in blutrünstigen Details Blut sprühender Schnittwunden. Auch computergenerierte Seeschlachten dürfen nicht fehlen. Dazwischen schwört Tell, als wäre er in der Bergpredigt, mit viel Pathos und vor schwellender Orchestermusik begleitet, seine Genossen auf den Freiheitskampf ein: „Heute sind wir Schweizer!“

Schuss auf den Apfel: "Wilhelm Tell"
Wie auch schon Schiller, kämpft Regisseur Hamm mit drei Erzählsträngen, in denen er viel Handlungspersonal beschäftigt. Neben der Sache mit Tell und dem Apfel, muss er auch noch die Bildung des eidgenössischen Bundes samt Rütlischwur und eine etwas temperamentlose Liebesgeschichte zwischen der Nichte von Ben Kingsley (Emily Beecham) und einem Schweizer Adeligen, der aussieht wie der junge Ryan Gosling, unterbringen. Allein die Koordination deren zahlreicher Schicksale verlangt viel Logistik und zerfranst ins Episodenhafte – mit dem Effekt, dass Tell mit seiner 1,94 Meter Körpergröße zwar alle überragt, aber als emotionales Zentrum der Heldengeschichte nicht genügend Schwerkraft entwickelt; das Restensemble anderen übrigens auch nicht. Und so taumelt „Wilhelm Tell“ zwischen Hochglanz und Trash an der Schwelle zur unfreiwilligen Komik auf eine Fortsetzung Richtung Franchise zu, die sich am Ende drohend anbahnt.
INFO: GB/I/USA/CH/D 2024. 134 Min. Von Nick Hamm. Mit Claes Bang, Ben Kingsley.
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