Filmkritik zu "The Ugly Stepsister": Schönheitsoperation im Barock

Lea Myren als „hässliche Stiefschwester“ Elvira lässt sich die Nase „operieren“.
Besser nicht lächeln, sonst sieht man die Zahnspange: Elvira grinst vorsichtshalber mit geschlossenen Lippen. Sie ist eine von den hässlichen Stiefschwestern aus dem Grimm-Märchen „Aschenputtel“ und bekannt dafür, dass sie sich die Zehen abschneidet, um die Braut eines Prinzen zu werden.
Üblicherweise interessieren sich die Erzähler von Aschenputtel – oder auch Cinderella, wie sie im Englischen genannt wird, nur für sie: Die brave Tochter eines reichen Witwers, die von der neuen Stiefmutter und deren zwei fiesen Töchtern wie eine Küchenmagd behandelt wird und in der Asche schlafen muss. Aschenputtel ist gütig und schön, nimmt heimlich am Ball im Schloss des Prinzen teil und gewinnt sein Herz. Anhand ihres verlorenen Schuhs, der nur auf ihren zarten Fuß passt, findet der Königssohn seine unbekannte Tänzerin wieder, heiratet sie – und wenn sie nicht gestorben sind ... und so weiter.
Die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt hat für ihr gewitztes Spielfilmdebüt einen ganz neuen Blick auf das Originalmärchen geworfen. In ihrer blutlustigen Lesart gehen nicht Schönheit und Tugend Hand in Hand, sondern Obszönität und Body-Horror. Zwar hält sie sich an die opulenten Barock-Fassaden einer Gesellschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts, doch ist die Schauerromantik – und deren modernes Update, der Horror – nie weit. Zwischen Rosenblättern und Wachskerzen tummeln sich Maden, der Familienvater bespritzt die Tischgesellschaft mit Blutfontänen, ehe er röchelnd mit dem Gesicht in der Torte verendet.
Porno statt Tugend
Cinderella, wie sie von der zynischen Stiefmutter genannt wird, ist tatsächlich schön, ab nicht unbedingt tugendhaft – wie ein kleiner Seitensprung ins pornografische Fach beweist. Sie bleibt allerdings nur Nebenfigur, denn das Interesse der Regisseurin gilt Elvira, der „hässlichen Stiefschwester“: Korkenzieherlocken umrahmen ihr rundes Gesicht, aus dem wasserblaue Kulleraugen leuchten. Die schiefen Zähne hält sie mit einer Zahnspange im Zaum, während aus dem Nasenrücken ein kleiner Höcker ragt. Kurzum: Elvira entspricht nicht dem geforderten Schönheitsideal, sehr zum Kummer ihrer kupplerischen Mutter. Sie möchte ihre Tochter mit dem sprichwörtlichen Märchenprinzen verheiratet sehen – schon allein des Geldes wegen.

Schön, aber nicht tugendhaft: Thea Sofie Loch Næss (li.) mit ihrer "hässlichen Stiefschwester" (Lea Myren)
Auch das 18. Jahrhundert wusste, wie Schönheitschirurgie geht, zumindest behauptet das die Regisseurin: Ein „Doktor der Ästhetik“ setzt Elvira einen zarten Meisel auf den Nasenrücken, den er ihr mit französischer Elegance – un, deux, trois – Leichterhand bricht. Wer schön sein will, muss leiden.
Eine wohlmeinende Gesellschaftsdame wiederum lässt Elvira das Ei eines Bandwurms mit der Wirkung einer Diätpille schlucken: Nun kann sie weiterhin Zimtschnecken schlemmen, während der Bandwurm für die schlanke Linie sorgt. Von diesem Augenblick an hört man ihre Eingeweide auf der Tonspur rumoren.
Blichfeldt macht sich einen gelungenen Spaß daraus, Märchenkonventionen auf den Kopf zu stellen und patriarchal-lüsternen Fantasien freizulegen. Die Einführung der Debütantinnen am Schlossball wird zur unverhohlenen Fleischbeschau, bei der sich die derben Freunde des Prinzen – einem dilettantischen Dichter-Schnösel – über die Lippen lecken. Idiotische Männer und dümmliche Frauen drehen sich zum Tanz im Kreis, während der Prinz seine Wahl trifft.

Der Prinz sucht sich beim Tanz eine Prinzessin: "The Ugly Stepsister"
Jeder kennt natürlich den Ausgang des Märchens. Aber wer weiß – vielleicht ist es ja in Wahrheit Elvira, die ihre Freiheit findet, während Aschenputtel ins Ehegefängnis geht.
INFO: NOR/DK/ROU/POL/SWE 2025. 109 Min. Von Emilie Blichfeldt. Mit Lea Myren, Ane Dahl Torp.
Kommentare