Mit seinen Bildern - die Zeitlinie des Films endet im Venedig des Jahres 2022, als Kiefer zur Zeit der Venedig-Biennale den Dogenpalast ausstattete - steht Kiefer in der Tradition der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts. Zugleich laboriert er an dem Epochenbruch des Holocaust, der eine lineare Fortführung der Geschichte - und des deutschen Selbstbilds als Land der Dichter und Denker - unmöglich machte.
Kiefers Arbeit an deutschen Traumata wird in Wenders' Film gut fassbar. Das vom Schriftsteller Paul Celan selbst verlesene Gedicht "Todesfuge", ein Schlüsseltext für Kiefers Schaffen ("Der Tod ist ein Meister aus Deutschland") macht die Schwere und Konsequenz des Zivilisationsbruchs deutlich, die in Material gefassten Echos davon erscheinen danach klarer, lesbarer. An anderen Stellen wird der Film mit Überblendungen und direkten Vergleichen gar explizit: Die Ruinen zerbombter deutscher Städte, die matschigen Stoppelfelder müssen nicht unbedingt gefilmt und mit Kiefers Bildern überblendet werden, damit ihre Vorbildwirkung klar wird.
Kanonisch
Kiefers Einsatz gegen das Schweigen der Nachkriegszeit hat sich seinen Platz im Kanon zweifellos verdient, seine Anstrengung, die Decke des Verleugnens anzuheben, hat durchaus eine Kompromisslosigkeit, die die Darstellung als heroischen Einzelkämpfer zu einem gewissen Grad rechtfertigt. Die Debatten, wonach Kiefer mit faschistischer Ästhetik liebäugle, sind ausgefochten und zu Kiefers Gunsten entschieden, die Doku betrachtet sie im Rückspiegel.
Dass der gleichsam intellektuelle wie hemdsärmelige Maler seine wuchtigen Werke nunmehr im industriellen Maßstab und mit industriellem Gerät produziert, könnte allerdings zu kritischen Betrachtungen des Kunstsystems führen, was aber unterbleibt. Und so hinterlässt "Anselm - das Rauschen der Zeit" denselbe Zwiespalt wie auch die meisten Ausstellungen des Malers: In das Staunen über die ästhetische Wucht und die Größe der VIsion mischt sich die Frage, ob Kiefers Monumentalkunst heute noch denselben dringlichen Zweck erfüllt - oder primär von dem Druck angetrieben wird, sich selbst am Leben zu erhalten.
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