Filmfestival Venedig im Finale: Ein kleines Lächeln zum Abschied

Beziehungskost aus Norwegen:  „Love“  von  Regisseur Dag Johan Haugerud 
Sex, Liebe und Begehren: Die norwegische Tragikomödie „Love“ denkt schmunzelnd über Romantik nach, die Georgierin Dea Kulumbegashvili erzählt in „April“ grimmig über ungewollte Schwangerschaften

Die 81. Filmfestspiele in Venedig endeten mit einem Lächeln. Die Beziehungstragikomödie „Love“ des norwegischen Regisseurs Dag Johan Haugerud plauderte sich leichtfüßig durch ein Thema, das sich in den verschiedensten Spielarten durch das gesamte Programm gezogen hatte: Liebe, Sex, Beziehungen – und die (fatalen) Foglen des Begehrens.

Den Auftakt zur Rückkehr der Erotik im Gegenwartskino hatte Nicole Kidman in „Babygirl“ gemacht und sich als Firmenchefin in eine folgenschwere Affäre mit ihrem jungen Praktikanten verstrickt. Unter der Regie der Niederländerin Halina Reijn stürzte sich Kidman in das, was man in Hollywood eine „mutige Rolle“ nennt – nicht nur wegen einiger expliziter Sexszenen, sondern auch, weil sie sich beim Arzt das Gesicht aufspritzen lässt. Im Reich der Sinne bewegte sich zudem Daniel Craig, der sein James-Bond-Image nun endgültig abgestreift hat und sich in Luca Guadagninos Wettbewerbsbeitrag „Queer“ ebenfalls in einen jüngeren Mann verliebt – mit demütigenden Konsequenzen. Und selbst Joaquin Phoenix als Batmans größter Gegenspieler Joker hat im Gefängnis die Liebe entdeckt: In „Joker: Folie à Deux“ verfällt der ausgemergelte Killerclown der Anstaltsinsassin Harley Quinn (Lady Gaga) und stürzt sich mit ihr in eine wahnhafte Zweierbeziehung. Doch trotz des großen Hollywood-Rummels am Lido herrschte Unzufriedenheit, denn abgeschirmt von den PR-Agenturen stellte sich kaum einer der großen Stars für Interviews zur Verfügung. Die internationale Filmkritik reagierte mit einem Protestbrief, dessen Wirksamkeit abzuwarten bleibt.

Killerclowns

Zum Abschluss des Filmfestivals setzte Dag Johan Haugerud dem Lachen des Killerclowns ein freundliches Lächeln mit seinem Wettbewerbsbeitrag „Love“ entgegen. Als Teil einer Trilogie, die mit dem Film „Sex“ begann und sich mit der Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen befasst, beobachtet Haugerud eine Urologin namens Marianne und den Krankenpfleger Tor bei ihrer Suche nach Sex und Liebe. Nachdem sich Marianne und Tor zufällig auf einer Fähre begegnen, weiht Tor die Kollegin in seine Liebespraxis ein, die meist darin besteht, auf Tinder passende Partner für schnellen Sex zu finden. Angespornt von seinem Beispiel, macht auch Marianne eine flotte Internet-Bekanntschaft – und erntet dafür nur Kopfschütteln von ihrer besten Freundin.

In langen Dialogen tauschen sich alle Beteiligten über ihre erotischen Erfahrungen aus und diskutieren die Vor- und Nachteile von Sex-Apps und Langzeitbeziehungen. Was Dag Johan Haugeruds „Love“ aber immer zugrunde liegt, findet sich bereits im Titel angedeutet: Das Begehren der Männer und Frauen in „Love“ mag zwar groß sein, wird aber nie auf Kosten anderer ausgelebt: Erst kommt die Rücksichtnahme, dann der Spaß.

Filmfestival Venedig im Finale: Ein kleines Lächeln zum Abschied

Erotische  Kost: „Diva Futura“ von Giulia Louise Steigerwalt   

Cicciolina

In eine Zeit der Erotik vor Erfindung von Dating-Apps tauchte die Italienerin Giulia Louise Steigerwalt in ihrer amüsanten Soap-Dramedy „Diva Futura“ ein. Gegründet von Riccardo Schicchi und Ilona Staller – besser bekannt als Cicciolina –, galt „Diva Futura“ als erste auf Pornografie spezialisierte Agentur in Italien. Steigerwalt rekapituliert die Karriere von Schicchi und seiner weiblichen Porno-Stars in den 1980er- und 1990er-Jahren als Versuch einer sexuellen Befreiung, die aber schließlich an der Scheinheiligkeit der Gesellschaft und ihrer staatlichen Behörden scheitert. Der Erzählton der Regisseruin ist durchtränkt von Nostalgie, bleibt aber durchwegs leichtfüßig; „Diva Futura“ bietet sich bestens als Nascherei im Streaming-Fernsehen an.

Filmfestival Venedig im Finale: Ein kleines Lächeln zum Abschied

Harte Kost: „April“ von Dea Kulumbegaschwili 

Richtig harte Kost zum Thema Sex und seine Folgen liefert die georgische Regisseurin Dea Kulumbegashvili in ihrem zweiten, radikal erzählten Langfilm „April“. Gedreht auf Analogfilm, folgt Kulumbashvili einer georgischen Gynäkologin bei ihren Arbeitsroutinen – teilweise auch abseits des Gesetzes. Denn Nina arbeitet nicht nur als Geburtshelferin, sondern nimmt auch illegale Abtreibungen vor. Auf ihren einsamen Fahrten durch die Provinz lässt sie es auf sexuelle Zufallsbegegnungen ankommen, die nicht selten gewalttätig enden. In meist starren Kameraeinstellungen fixiert die Regisseurin ihre Protagonistin in bedrückenden Situationen: Im Gespräch mit einem Vorgesetzten, einer verzweifelten Patientin oder während der Prozedur einer Abtreibung verharrt der Kamerablick unbeweglich auf weiblichen Körpern in den Zwängen gesellschaftlicher Zusammenhänge.

Filmfestival Venedig im Finale: Ein kleines Lächeln zum Abschied

Regimekritische Kost: „The Witness“ von Nader Saeivar

Regimekritik

Das Schicksal von Frauen steht auch im Mittelpunkt von „The Witness“, einem iranischen Gesellschaftsdrama von Regisseur Nader Saeivar, das mit österreichischer Beteiligung entstand. Der brühmteste Regimekritiker des Landes, Jafar Panahi, schrieb am Drehbuch mit zu einem packenden Porträt einer alten Dame in Teheran, deren Ziehtochter ermordet wird und die sich im Kampf um ihr Recht mit der religiösen Männerwelt anlegt.

Kommentare