Beethovens "Fidelio" an der Staatsoper: Liebe unter Puppen

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Nikolaus Habjan inszenierte die Freiheitsoper mit Alter Egos der Protagonisten. Das entpuppt sich als heikel. Viel Applaus für Dirigent Welser-Möst.

55 Jahre ist es her, dass Beethovens "Fidelio" zuletzt von der Wiener Staatsoper als Neuproduktion auf die Bühne gebracht wurde: im Rahmen der Wiener Festwochen im Theater an der Wien (heute leider unvorstellbar), inszeniert von Otto Schenk, dirigiert von Leonard Bernstein, gesungen von James King, Gwyneth Jones, Karl Ridderbusch, Theo Adam etc. Erst danach übersiedelte die Produktion ins große Haus am Ring und wurde legendär. Zumindest eine ganze Generation von Opernliebhabern kennt also an der Staatsoper nur diese Optik.

Nun gab es einen neuen Versuch, in der Inszenierung des Regisseurs, Puppenspielers und Kunstpfeifers Nikolaus Habjan. Dass "Fidelio" in seiner vermeintlichen Einfachheit und tatsächlichen Komplexität besonders schwierig umzusetzen ist (und nur selten szenisch glückt), wurde auch diesmal bewiesen. Die neue Produktion sieht vielleicht nicht so aus, als wäre sie 55 Jahre alt, wesentlich jünger aber auch nicht.

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Dennoch gehört es zur Aufgabe eines zeitgemäßen Operntheaters, solche Kernwerke des Repertoires regelmäßig zu hinterfragen, bei allen Risiken.

Apropos zeitgemäß: Habjan bettet die Geschichte von Unterdrückung, willkürlicher Gefangennahme und Gattenliebe in keine Epoche ein, er verweigert sogar explizit einen zeitlichen Kontext. Das mag das Stück szenisch zwar länger gültig machen (die Gefahr, dass diese Inszenierung 55 Jahre überlebt, ist nicht gegeben), hat aber einen wesentlichen Nachteil. Es wird nicht einmal im Ansatz erklärt, aus welchem Umfeld der böse Pizarro kommt, warum die Handlung so bedrohlich ist, warum Leonore Kopf und Kragen riskiert und die Freiheitsbotschaft am Ende besonders wichtig ist. Es gibt szenisch zu wenig Spannung, zu wenig Kraft, zu wenig Dramatik. Moniert in diesem Fall jemand, der Habjans Arbeit grundsätzlich schätzt, diesfalls aber enttäuscht wurde.

Das liegt auch an dem von Habjan stets eingesetzten Stilmittel, seinem Markenzeichen, der Verwendung von Puppen. Diesmal doubelt er die Protagonisten Leonore und Florestan mit seinen Kreationen, stellt also deren Alter Egos auf die Bühne. Leonore II und Florestan II werden von Puppenspielern gemimt, die die großen Gesichter bewegen, als würden sie singen (und manchmal auch selbst sprechen). Es ist also selbst in jenen Momenten, in denen Einsamkeit oder Intimität dominieren sollte, ziemlich viel los in dieser Beziehung. Prinzessin Diana hätte einst gesagt: Da waren zu viele in dieser Ehe.

Die Puppen bringen kaum neue Erkenntnisse und lenken ab. Schon beim Quartett im ersten Aufzug fragt man sich, warum Leonore diese seltsame Figur neben sich stehen hat. Bei der Szene, bei der die zwei Liebenden einander im Kerker erkennen, herrscht kaum Magie. Die Demaskierung Leonores (auf ihre Maske und die Hosenrolle bezieht sich ja offenbar der Grundgedanken der Realisierung mit Puppen) findet kaum statt. Schön ist es beim Finale, wenn Leonore und Florestan endlich nach vorne gehen und die Puppen hinten stehen lassen. Da scheinen die Schmetterlinge kurz fliegen zu lernen.

Die Idee, Solisten zu spiegeln, ist insgesamt schön, geht aber hier nicht auf, auch weil sie inkonsequent in der Umsetzung bleibt. An William Kentridges Puppenspiel sollte man lieber nicht denken. Auch die Doppelung der Protagonisten durch Tänzer hat schon wunderbar funktioniert, etwa in Paris bei "Così fan tutte" mit der Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker. Hier bleibt es leider Stückwerk.

Wesentlich besser ist die Personenführung der ungepuppten Figuren: Rocco ist ein biederer Mitläufer, der sich trotz besseren Wissens nicht gegen die Obrigkeiten auflehnt. Jaquino wird hier zum Fiesling, weil er Marzelline nicht zur Gattin kriegt. Was Leonore und Florestan sind, weiß man nicht so genau, wahrscheinlich vor allem Metaphern und Symbole für Liebende, wenn auch die Liebe nicht spürbar ist.

Der gut singende Chor muss "O welche Lust", jenes Lied, bei dem die Gefangenen erstmals wieder einen Hauch von Freiheit spüren sollten, hinter Gittern singen, auch das unlogisch. Die Prosatexte wurden von Paulus Hochgatterer bearbeitet, sie sind erfreulich kurz und knackig, manches soll offenbar lustig und zeitkritisch sein, etwa die hartnäckige Bezeichnung von Leonore als Gutmensch.

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Unter den Solisten ist Tareq Nazmi sängerisch am überzeugendsten, alle anderen könnten mächtiger und ausdrucksstärker besetzt sein. Malin Byström ist eine Leonore, die sich in der Höhe abmüht, leider auch in der Tiefe und große Vorbilder schmerzhaft vermissen lässt. Bei ihrer großen Arie "Abscheulicher, wo eilst du hin?", wird sie vor große Hürden gestellt, auch durch das langsame Dirigat von Franz Welser-Möst, der sonst alles daran setzt, sie durch die Rolle zu tragen. David Butt Philip singt das erste Wort des Florestan ("Gott") dramatisch und kraftvoll, sein Timbre bleibt gewöhnungsbedürftig, die Diktion ist gut, die Phrasierung weniger. Christoph Maltman ist ein solider Don Pizarro, jedoch ohne große Durchschlagskraft, insgesamt mehr Stilist als diabolische Figur. Kathrin Zukowski ist recht kurzfristig als Marzelline dazugekommen, auch da darf man sich nicht erinnern, wer diese nur vermeintlich kleinere Rolle schon gestaltet hat, nämlich ganz große Sängerinnen. Daniel Jenz spielt als Jaquino ganz gut, Simonas Strazdas ist ein gediegener Minister.

Das Beste des Abends ist die musikalische Gestaltung durch Franz Welser-Möst, der nach seiner Erkrankung erfreulicherweise wieder eine Staatsopernpremiere dirigieren kann, mit dem klanglich fabelhaften Orchester. Auch hier wackelt es zwar manchmal in der Koordination mit der Bühne beziehungsweise im Graben, gleich anfangs etwa beim Horn. Welser-Möst weiß aber Akzente zu setzen, Spannung aufzubauen, Crescendi zu kreieren, die auf der Bühne wenig sichtbare Handlung musikalisch zu erzählen und abhanden kommende Solisten wieder einzufangen. Am tollsten gelingt die 3. Leonoren-Ouvertüre vor dem Finale: temporeich, präzise, fein ausbalanciert.

Dafür gab es auch den meisten Applaus. Jener am Ende für das Ensemble fiel weniger euphorisch aus, die Ablehnung der Regie war milde.

Mit "Fidelio" war die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Wiener Staatsoper 1955 wiedereröffnet worden. Viele darüber hinaus reichende künstlerische Argumente, warum diese Premiere von "Fidelio" nun in dieser Konstellation sein musste, hat dieser Abend nicht geliefert.

 

 

 

 

 

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