Beethovens Volks-Operette

Es ist schon richtig, dass man ein Werk auch dem Ort, an dem es aufgeführt wird, anpassen sollte. Aber muss man das so konsequent tun, dass inhaltlich nur noch wenig übrig bleibt? Wird Beethovens "Fidelio", sollte es einmal ein Open Air im Fußballstadion geben, dann im Sportdress gespielt? Und hätten die Bregenzer Festspiele dieses Werk ins Seefahrermilieu verlegen müssen?
An der Wiener Volksoper ist nun, zumindest im ersten Teil, Ähnliches passiert. Die große Freiheitsoper des Komponisten wird hier behandelt, als handle es sich um seine einzige Operette. Die szenische Umsetzung legt diese Deutung zumindest nahe.
"Fidelio" ist diesmal im 1. Aufzug (schlechtes) Unterhaltungstheater, behübscht, im biederen Umfeld: Weiß lackierter Zaun, ein Vorgarten, Idylle anstelle eines Bedrohungsszenarios, Oberfläche statt Tiefgang. Leider ist auch die Personenführung von Regisseur Markus Bothe in dieser Phase kaum existent, zwischen den Figuren entwickelt sich nichts. Die Geschichte wirkt belanglos, die Aufführung fad. Es ist auch nicht konsequent gearbeitet: So muss einmal Rocco den Gouverneur Don Pizarro rasieren, seift ihn aber nur dilettantisch ein.
Sollte das ein Tribut ans Kernrepertoire des Hauses sein, ist es eine Beleidigung der Operette. Andernfalls ist es nur eine Verirrung.
Szenenfotos der Oper
Am Schafott
Im zweiten Aufzug wird es um einiges besser, wenn sich die Bühne ( Robert Schweer) dreht und Blicke in die tiefen Keller des Gefängnisses freigibt. Da herrscht plötzlich Opernatmosphäre, auch wenn Florestan einen Kopf kleiner ist als Leonore und das Spiel dadurch wenig glaubwürdig wirkt. Das Ende mit einem Wechsel in die Zeit der Französischen Revolution und Don Pizarro am Schafott ist bemüht.
Dabei sind die musikalischen Voraussetzungen diesmal sehr gut. Müssen sie auch sein, wenn die Volksoper erstmals seit mehr als 70 Jahren dieses Werk wieder auf den Spielplan setzt. Gegeben wird die dritte Fassung, die vor 200 Jahren uraufgeführt wurde. Also die gängige Version, ohne die dritte Leonoren-Ouvertüre.
Dirigentin Julia Jones am Pult des klanglich erfreulichen Orchesters setzt viele Akzente, die musikalische Gestaltung ist differenziert, zum Finale hin zu kraftvoll und vordergründig. Leider gibt es vor allem bei Holz- und Blechbläsern einige Unsauberkeiten. Insgesamt ist die orchestrale Leistung aber gut.
Der Chor (mit schlecht aufgeklebten Glatzen und in der Optik tibetanischer Mönche) singt präzise. Bei den Protagonisten ragen Marcy Stonikas und Sebastian Holecek sängerisch heraus. Sie ist eine intensive, höhensichere Leonore, er ein markanter Don Pizzaro. Roy Cornelius Smith als Florestan klingt angestrengt, sein Timbre ist gewöhnungsbedürftig. Stefan Cerny singt den Rocco schön und mit profundem Bass, Thomas Paul den Jaquino fein lyrisch, Rebecca Nelsen die Marzelline ebenso enttäuschend wie Günter Haumer den Minister.
Wie sich Leonore bei ihrer großen Arie "Abscheulicher ..." aus der Bluse schälen muss, ist absurd.
KURIER-Wertung:
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