Festival "Hin & weg" in Litschau: Wo ein Herrscher, da ein Narr

Der König, der weitermacht mit dem Morden: Sören Kneidl.
Nach der Nationalratswahl Ende September 2024 stand für Zeno Stanek, Gründer des Theaterfestivals „Hin & weg“ fest, dass er ein Zeichen setzen wolle. Und so stellte er die diesjährige Ausgabe (bis 17. 8.) unter das Motto „Kathedralen der Demokratie“.
Kathedralen seien Bauwerke, die über Jahrhunderte entstehen – und vielleicht niemals abgeschlossen sind. Pläne müssen, so der Intendant, von einer Generation an die nächste übergeben werden. Die Bedingungen ändern sich, das große Ziel aber bleibt. Ähnlich verhalte es sich mit der Demokratie als lebenswertester Staatsform.
Doch Franz Schuh, der mürrische Philosoph, äußerte Zweifel. Er halte es mit Peter Handke, der das Wort Demokratie nicht mehr hören könne. Weil sich Autokraten hinter dem Begriff verstecken – als „Demokraten“. Und weil sie ein Fetisch geworden sei. Die Menschen hätten geglaubt, in der Demokratie als Einzelne bedeutsam zu sein. Dann hätten sie gemerkt, dass sie es nicht sind. „Und dann wählen sie rechts.“
So sprach Franz Schuh am Samstagvormittag bei „Fellingers Früh.Stück“, mit dem traditionell der Festivaltag nach Yoga am Herrensee und einer Tasse Tee, von Katharina Stemberger mit Gedanken gewürzt, beginnt. Bernhard Fellinger sprach zudem mit Marie-Theres Auer, heuer die Dramatikerin in Residence. Sie erarbeitet mit der Gruppe Kollektief, quasi dem Hausensemble, das Stück „Wovor hast du Angst?“, das am nächsten Wochenende uraufgeführt wird: Man merke, dass es gegenwärtig irgendwo hakt. Eigentlich wäre es an uns, etwas zu verändern.

Und ein alter Bock ist schuld: Leonie Rabl und Zalina Sanchez
Die Hoffnung lähme zwar, wie Franz Schuh einwarf, den Mut. Aber es gibt immer auch Menschen wie Jiří Dienstbier, der 1968 den Prager Frühling unterstützte; sein Kampf gegen das kommunistische Regime in der ČSSR brachte ihn für drei Jahre ins Gefängnis. Im Gespräch mit Fellinger erzählte Monika Arkai über ihren Vater, der nach der Wende (1989) der erste Außenminister der Tschechoslowakei gewesen war.
Publikum an die Macht
Es gab einen speziellen Grund für die Einladung von Arkai. Denn im Alten Kaufhaus – das Festival nutzt die Leerstände von Litschau – wurde am ersten Wochenende „Der Staat“ von Alexander Manuiloff gegeben. Das Stück, das eher keines ist, lässt dem Bulgaren Plamen Goranov Gerechtigkeit widerfahren, der sich am 19. Februar 2013 aus Protest gegen die Regierung verbrannt hat – angeblich ohne einen Abschiedsbrief hinterlassen zu haben. Er wird immer wieder mit Jan Palach verglichen, der sich 1969, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, angezündet hatte.
Handke setzte Zdeněk Adamec, der sich 2003 mit Benzin übergossen hat, in einer „Szene“, uraufgeführt bei den Salzburger Festspielen, ein Denkmal. „Der Staat“ mit seinen mitunter absurden Sätzen („Die Vorstellung wird in fünf Minuten beginnen“) lässt an Handke denken – und an dessen „Publikumsbeschimpfung“. Nur dass bei Manuiloff das sich selbst überlassene Publikum zum Akteur wird (Fädenzieher im Hintergrund gibt es trotzdem): Man arbeitet sich demokratisch durch einen Stapel an Briefen von Plamen ...

"Der Staat": Das Publikum ist aufgefordert zu handeln
Zeno Stanek will mit seinem Festival „Theaterunterhaltung“ bieten – und so gab es erneut ein kunterbuntes Programm. Helmut Schuster z. B. reaktivierte seine uralte Jurte, um wieder die Aufschneider-„Geschichte einer Tigerin“ von Dario Fo zu erzählen: Er machte das derart hinreißend, dass man die Mittagshitze im Zelt (50 Personen dicht an dicht) vergaß.
Vor dem Zollhaus brachten Leonie Rabl und Zalina Sanchez „Die Düntzer Rhapsodie“ von Bianca Braunesberger und Ivan Strelkin (über Feminismus und die FPÖ, die den Bock zum Gärtner macht) mit beißendem Humor als szenische Lesung. Die Gruppe Spitzwegerich begeisterte mit einem surrealen Kammerspiel aus Palindromen von „SEI FIES“ bis zu „TU ERFREUT“.

Ein brachiale Performance: "Macbeth"
Und im Waldstadion ließen Johanna und Pia Hierzegger ihre Theater-im-Bahnhof-Kollegin Gabriela Hiti allein aufs Feld laufen. In „Zu Ende gehen“, für Litschau adaptiert, gewinnt die Schauspielerin das Klima-Match leider nicht: Sie will die 6.000 Quadratmeter in ein Paradies verwandeln, steckt die Bereiche ab (mit Kegeln und Bändern aus Plastik!), doch die nächste Generation nimmt davon keine große Notiz ...
Gestartet war das Festival am Freitag mit einer ungemein packenden Uraufführung: Sören Kneidl, Robin Gadermaier und Lukas Böck, die bereits mit ihrem „Frankenstein“ begeistert hatten, erzählten die Geschichte von Macbeth als Musikperformance: Sie erinnert im Stil an „Jedermann reloaded“ von Philipp Hochmair und der Elektrohand Gottes – in der Qualität der „Schachnovelle“ von Nils Strunk. Dieser Brachialversion sind Aufführungen in Wien zu wünschen.

Der traurige Clown als Narr in Residence: Jevgenij Sitochin.
Und wo ein König, da ein Narr: Jevgenij Sitochin geisterte als trauriger Clown durchs Strandbad und das Festivalgelände, um absurden Schabernack zu machen. Der „Narr in Residence“ wird auch nächstes Wochenende mit einem Wecker mahnen: Die Zeit läuft ab!
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