Fatih Akin über seinen Film "Amrum": „Meine Eltern waren Nazis, Fatih“

„Sieht aus wie Helmut Schmidt mit 12“: Jasper Billerbeck in „Amrum“.
Die Geschichte eines Kindes verfilmen, dessen Eltern deutsche Nazis waren?
Dafür sei er eigentlich nicht der Richtige, fand Fatih Akin, Sohn türkischer Einwanderer, geboren 1973 in Hamburg: „Ich als Migrationskind der 70er-Jahre, aus der Großstadt? Deutschland 1945? Das ist für mich natürlich schon eine sehr andere Welt“, erzählt der Regisseur im Interview. „Und das ohne Nostalgie, Kitsch und Klischees zu erzählen und präzise zu sein – das war für mich die größte Herausforderung.“
„Amrum“ (ab Freitag im Kino) handelt von einem Buben, dessen Familie gegen Ende des Zweiten Weltkrieges aus Hamburg auf die nordfriesische Insel Amrum geflüchtet ist. Die Eltern des 12-jährigen Nanning sind stramme Nazis, seine Mutter kleidet ihren Sohn in die HJ-Uniform. Auf der Insel zählt Nanning zu den Außenseitern, weil er „kein richtiger Amrumer“ ist; zudem spürt er, dass seine glühende Nazi-Mutter auf Ablehnung stößt.

Regisseur Fatih Akin erzählt die Kindheitserinnerungen seines Mentors Hark Bohm: „Amrum“.
Tatsächlich basieren die Ereignisse auf den Kindheitserinnerungen des deutschen Regisseurs Hark Bohm („Nordsee ist Mordsee“), der aufgrund gesundheitlicher Schwierigkeiten – Bohm ist mittlerweile 86 – nicht mehr dazu imstande war, den Film selbst zu drehen.
Hark Bohm ist ein Freund und Mentor von Akin, und er war es auch, der sehr wohl daran glaubte, dass der Regisseur von Großstadtdramen wie „Gegen die Wand“ genau der Richtige wäre, die Geschichte eines Außenseiterkindes zu erzählen: „Du kennst das und du weißt, was es bedeutet: Weil deine Eltern die Heimat verlassen haben“, sagte er zu Akin.
„Was labert er da?“, habe dieser sich gefragt, doch dann Bohm recht gegeben.
Deutsche Seele
Fatih Akin nahm „Amrum“ zum Anlass, selbst über seine Identität als Deutscher nachzudenken: „Goethe hat gesagt: Wo die Bildung ist, da ist das Vaterland. Ich habe Lesen und Schreiben auf Deutsch gelernt, nicht auf Türkisch. Ich habe meine ersten Filme auf Deutsch gesehen, ich war an einer deutschen Filmhochschule. Das ist ein Teil meiner Seele“, so Akin in seinem typischen Hamburger-Jugendsprech: „Ey, der Dude (gemeint ist Goethe) hat recht.“
Bohm hatte ursprünglich geplant, ein aufwendiges Kriegsdrama über den Nationalsozialismus zu verwirklichen, brachte dafür aber keine Filmförderung zustande. Von Fatih Akin darauf angesprochen, warum ihm dieses Thema so wichtig sei, antwortete ihm Bohm, selbst linker, progressiver Filmemacher: „Meine Eltern waren Nazis, Fatih. Meine Mutter war Nazi, aber ich habe sie geliebt, weil sie meine Mutter war. Und mein Vater ist vor meinen Augen von den Engländern auf Amrum verhaftet worden.“
Amrum war das Stichwort, und Fatih Akin kam die zündende Idee: Er überredete Hark Bohm, über seine Kindheit auf Amrum zu schreiben.
Allein die Insel als Drehort befeuerte seine Fantasie: „Denk mal nach, Digger, eine Insel! Wie fotografisch!“
Inspiriert von seinem jungen Kollegen verfasste Bohm per Hand ein 260 Seiten langes Drehbuch, dass dringend gekürzt werden musste: „Hark, darf ich das machen? Ich mach es schnell und ich mache nichts kaputt, versprochen“, meinte Akin und reduzierte flott auf 90 Seiten.

Laura Tonke (linsk) als Nazi-Mutter in "Amrum".
Gedreht wurde vor Ort auf der Insel Amrum, eine Herausforderung der besonderen Art: „Ebbe und Flut“, stöhnt Akin. „Dreh mal bei Ebbe und Flut. Da lernst du richtige Demut.“
Im Minutentakt musste das Team ein tonnenschweres Boot nach jeder Dreheinstellung mit Muskelkraft neu verschieben: „Wenn ich mehr Geld gehabt hätte, hätte ich alles im Studio gedreht. Aber ich hatte nicht mehr Geld.“
Stars in Nebenrollen
Was die Rollen betraf, bemühte er sich um besondere Besetzungen. Nannings Mutter, die nach dem Selbstmord Hitlers in schwere Depression verfällt, übernahm Laura Tonke. Den Buben Nanning besetzte Fatih Akin mit Jasper Billerbeck, weil er „aussah wie Helmut Schmidt mit 12“.
Die ersten zwei Drehtage erwiesen sich zwar als mühsam und Akin fürchtete bereits, die falsche Bubenwahl getroffen zu haben: „Doch am dritten Drehtag machte es Bäm!“ Ab da lief alles wie am Schnürchen. In den Nebenrollen finden sich Namen deutscher Stars wie Diane Kruger oder Matthias Schweighöfer. Auch Regisseure wie Detlev Buck treten auf, denn man weiß ja nie: „Wenn ich keinen Bock mehr gehabt hätte, hätte Detlev übernehmen können.“
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