Salzburg-Intendant: "Geht um nichts weniger, als die Zukunftsfähigkeit der Festspiele"
Soeben hat Markus Hinterhäuser das Festspielprogramm für Sommer 2026 präsentiert – hier das große Interview dazu. Und zu den schwierigen Zeiten, die auf die Kultur zukommen.
KURIER: Das Schauspielprogramm sieht auf dem Papier wesentlich attraktiver aus als in den vergangenen Jahren. Es wirkt fast so, als würden Sie sich als Intendant nach dem Konflikt mit Marina Davydova zusätzlich für die Position des Schauspielchefs bewerben wollen.
Markus Hinterhäuser: Ich habe das im Winter letzten Jahres übernommen, auch weil es keinerlei Vorbereitungen von Marina Davydova gab. Es ist aber nicht so, dass ich irgendeine Ambition hätte, auch in den kommenden Jahren für das Schauspiel verantwortlich zu sein. Meine Feuertaufe hatte ich ja mit dem „Jedermann“, den ich allein mit meinem Mitarbeiter Moritz Hauthaler geplant habe. Ich glaube, ich habe sie ziemlich gut bestanden. Die Frage war nun: Wie geht es weiter mit dem Schauspiel? Wie kann zumindest der Versuch unternommen werden, in dieser, nach der Trennung von Marina Davydova doch sehr überschaubaren Zeit, ein Schauspielprogramm Realität werden zu lassen, das auch im Sinne des Festspielgedankens dessen Bedeutung widerspiegelt.
Das Schauspiel schien zuletzt eine untergeordnete Rolle zu spielen . . .
Es gehört zu den Salzburger Festspielen genauso dazu wie die Oper und das Konzert. Und ich glaube, es ist ein ziemlich attraktives Angebot für die Besucher herausgekommen, immerhin mit zwei Uraufführungen der beiden österreichischen Nobelpreisträger Peter Handke und Elfriede Jelinek. Goethes „Faust I“ ist dabei, „Der Menschenfeind“ von Molière, „De Profundis“ von Oscar Wilde, Lesungen und ein hochinteressantes Stück des libanesisch-kanadischen Autors Wajdi Mouawad, das den Mythos Europa zum Thema hat. Inszenieren wird es Krszystof Warlikowski, der im Rahmen der Festspiele bisher nur mit Opern in Erscheinung getreten ist. Er hat ja ein fantastisches Theater in Warschau.
Iffland-Ring-Träger Jens Harzer wird eine zentrale Rolle im Sommer 2026. Wie kam es dazu?
Das hat vor allem mit dem Stück von Peter Handke zu tun, „Schnee von gestern, Schnee von morgen“. Das hat mir Handke geschickt. Wir kennen uns, und ich glaube, dass wir uns auch mögen. Ich mag ihn zumindest. Lies es doch mal!, hat er gesagt. Und dann kam ein typischer Handke-Nachsatz: Mach damit, was du willst. Es ist ein Stück für einen Schauspieler. Wir haben nicht über Jens Harzer gesprochen, aber für mich war vollkommen klar: Das ist für Jens Harzer geschrieben. Für seine schauspielerische Feinheit, für seine seismografische Sensibilität. In dieser „Kammermusik“, in dieser Bewegung zwischen Vergangenheit und Zukunft, begegnen wir vertrauten Themen und Motiven, die uns aus Handkes Werk lange vertraut sind: das Unterwegs-Sein, das Innehalten, das Erinnern.
Und die Uraufführung von Elfriede Jelinek?
Das ist eine Kooperation mit dem Burgtheater und heißt „Unter Tieren“. Ich freue mich sehr, die Premiere dieses Werkes hier in Salzburg zeigen zu können. Jelinek ist lange nicht in Salzburg gewesen. Als sie 1998 hier „Dichterin zu Gast“ war, gab es einen außerordentlich unfreundlichen Vorfall. Damals wurde ein Plakat, auf dem sie zu sehen war, von der Fassade des Hauses für Mozart heruntergerissen. Eine unschöne, niederträchtige Aktion, die bei Jelinek zurecht einiges ausgelöst hat. Umso glücklicher bin ich, dass sie jetzt zu einer Art Rückkehr gefunden hat.
Sie trauen sich auch über den „Faust“ drüber?
Dieses Projekt ist im Gespräch mit Ulrich Rasche entstanden, der uns im vergangenen Jahr eine bemerkenswerte Inszenierung von „Maria Stuarda“ geschenkt hat. In dieser Zeit haben wir Möglichkeiten einer neuerlichen Zusammenarbeit ausgelotet. Bettina Hering hat Ulrich Rasche nach Salzburg gebracht, das hat mich sehr beeindruckt. Rasches Bewusstsein über die Möglichkeiten von Sprache, auch seine Konzentration auf Sprache ist schon ziemlich singulär. Und dann ist da diese ständige Bewegung, diese Drehscheibe, die irgendwie auch ein Spiegel einer Weltbewegung ist. Natürlich ist „Faust“ kein leichtes Unternehmen, da spielt ja allein auch schon die Aufführungstradition im Rahmen der Festspiele keine ganz geringe Rolle. Aber es ist richtig, diesen gewaltigen europäischen Weltentwurf erfahrbar zu machen.
Ihre Feuertaufe, der „Jedermann“, wurde gerade als Fernseh-Publikumshit mit der KURIER-Romy ausgezeichnet. Wie wichtig ist Ihnen diese breite Öffentlichkeit?
Ich habe mich sehr gefreut über den Zuspruch des Publikums für eine offensichtlich sehr gelungene Realisierung des „Jedermann“. Ich bewerte nicht, beurteile das Publikum nicht. Ich bin nicht der Türsteher der Festspiele. Aber wenn ich jemandem eine Freude machen kann mit einer Oper oder auch einem Schauspiel wie dem „Jedermann“ oder mit dem ein oder anderen Konzert, ist das ja nichts Anstößiges. Und dann gibt es andere, etwas weniger publikumswirksame Momente bei den Festspielen, das ist auch richtig so, es geht um das Gesamtbild.
Das Schauspielprogramm 2026 ist das einzige in Ihrer Zeit als Intendant, das Sie alleine verantworten werden. Die Position des Schauspielchefs wurde ausgeschrieben, am 14. Dezember endet die Bewerbungsfrist. Warum waren Sie so gegen die Ausschreibung?
Ich war gar nicht so gegen eine Ausschreibung. Ich weiß nur nicht, ob sie in diesem speziellen Fall zwingend notwendig ist. Wir stehen ja vor einer Situation, die in der Geschichte der Festspiele einzigartig ist. Wir haben Jahre vor uns, in denen noch nicht ganz klar ist, wie es weitergeht. Die Programmierung der Festspiele hat sich nach den Gegebenheiten des Umbaus und der Generalsanierung zu richten. Einer Schauspielleitung einen Fünfjahresvertrag anzubieten, wenn sich wesentliche Parameter, die bisher für uns vollkommen selbstverständlich waren, ändern: das kann auch die Quadratur des Kreises sein.
Können Sie das mit den veränderten Parametern genauer erklären?
Es ist ja bekannt, dass beispielsweise das Große Festspielhaus nach jetzigem Stand der Planung im Zuge der Generalsanierung 2028 und 2029 nicht zur Verfügung stehen wird. Die Technik des Hauses, das 1960 eröffnet wurde, ist an ihre Grenzen gekommen, und wenn wir das nicht in Ordnung bringen, laufen wir Gefahr, keine Spielgenehmigung mehr zu bekommen. Bekannt ist auch, dass wir eine alternative Spielstätte suchen, die ungefähr das Fassungsvermögen des Großen Festspielhauses abbildet. Im Zentrum der Stadt scheint es allerdings alles andere als einfach zu sein, aber außerhalb der Stadt, da wird es noch schwieriger. In den kommenden Jahren geht es um nichts weniger als um die Zukunftsfähigkeit der Salzburger Festspiele.
Was heißt das für den „Jedermann“? Der kann dann nicht kurzfristig, wenn es regnet, vom Domplatz ins Festspielhaus übersiedeln.
Das unterstreicht nur die Wichtigkeit einer alternativen Spielstätte für den „Jedermann“. Eine andere Möglichkeit für den „Jedermann“ könnte eine temporäre Überdachung des Domplatzes sein. Im Unterschied zu den selbsternannten Wachposten der Altstadt fände ich eine solche Lösung alles andere als abwegig. Die Frage, ob der Widerstand auch so heftig ausfallen würde, wenn es um die partielle Überdachung des Christkindlmarktes ginge, drängt sich geradezu auf.
Da ging es ja explizit um kommerzielle Überlegungen.
Ich will das Thema Umwegrentabilität nicht zu sehr überstrapazieren, aber darum geht es bei den Festspielen auch.
Wenn wir über sich ändernde Parameter sprechen: Auch die Finanzierung von Seiten der öffentlichen Hand wird künftig geringer sein. Die Rede ist von minus 10 Prozent. Haben Sie diesbezüglich schon Signale bekommen?
Ich habe Ähnliches vom Kulturminister gehört. 2026 sei erst der Anfang, die Jahre 2027 und “28 werden entscheidend sein. Es ist schon so: wenn überall gespart werden muss, wird auch die Kultur ihren Teil beizutragen haben. Das ist in Ordnung. Es ist nur die Frage, wie man das macht. Auch in der Kultur geht es um Arbeitsplätze, um sehr viele. Alleine bei uns verdienen über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu einem hohen Prozentsatz gar nichts direkt mit der Kunst zu tun haben, ihren Lebensunterhalt, als Schlosser, als Tischler, in der Schneiderei oder als Reinigungspersonal. Auch die haben das Recht, dass ihre Arbeit respektiert wird.
Kulturminister Andreas Babler hat sich Rudolf Scholten als Berater geholt. Der hat in Interviews schon gesagt, dass man eher bei den Großen sparen und die Kleinen retten muss. Wie stehen Sie dazu?
Dieser Gedanke ist nicht falsch. Wenn der Unter- und Mittelbau wegfällt, werden die oberen Etagen auch einstürzen. Das ist ein Gesetz der Statik. Die kleineren und mittleren Institutionen, die brauchen wirklich Schutz. Ein Schubert-Streichquartett etwa ist kein Mehrheitsprogramm, das braucht Schutz so wie andere Minderheiten auch. Wir können nicht alles einfach so abwerfen wie ein lästiges Gepäck, das uns zu schwer geworden ist.
In Salzburg wird auch die Position der Präsidentin ausgeschrieben. Haben Sie dazu eine Emotion?
Viel weniger Emotion, als man von außen glaubt. Das ist ein Vertrag, der auf fünf Jahre geschlossen wurde, 2026 ausläuft und wieder ausgeschrieben werden muss. Genauso wie auch mein Vertrag ausgeschrieben wurde.
Den Schauspielchef können Sie letztlich selbst bestimmt, bei der Präsidentin haben Sie aber kein Mitspracherecht.
Stimmt, daher stellt sich diese Frage für mich nicht, das ist Aufgabe des Kuratoriums.
Zum Opernprogramm: Sie eröffnen mit „Carmen“, mit dem Rollendebüt von Asmik Grigorian und Teodor Currentzis am Pult des Utopia-Orchesters. Also nicht mit den Wiener Philharmonikern. Warum?
Das ist kein feindlicher Akt den Wiener Philharmonikern gegenüber. Dass die Philharmoniker das Orchester der Salzburger Festspiele sind, sehe ich als Privileg. Es ist wirklich das beste Orchester der Welt. Aber manchmal spielen auch kalendarische Probleme eine Rolle. Die Festspiele eröffnen am 26. Juli, und das kollidiert ein wenig mit den Ferien der Philharmoniker. Sie kommen nicht früh genug in Salzburg an, damit Endproben und Premiere einer szenischen Produktion in diesem Zeitraum möglich wären. Es ist auch nicht das erste Mal der Fall. Das war bei „Don Giovanni“ mit Currentzis so. Oder 2025 bei „Giulio Cesare“ mit Emmanuelle Haïm.
Dennoch ist es eine bewusste Entscheidung von Ihnen, Currentzis zu engagieren. Sie wissen, dass es da wieder Aufregung geben wird, weil er als Putin-nahe gilt.
Es hat sich an meiner Einstellung zu Currentzis nichts geändert. Ich bin seit fast drei Jahren mit diesem Problem konfrontiert, und ich wüsste nicht, warum ich jetzt meine Haltung ändern sollte. Er tritt ja auch nicht nur in Salzburg auf, er ist in München, in Berlin, in Hamburg, Rom und Madrid präsent.
Regie bei dieser „Carmen“ führt die belgische Tanzkompanie „Peeping Tom“. Was erwarten Sie sich da?
Das ist ein Regie-Kollektiv, das fantastische, wegweisende Produktionen gemacht hat, ein sehr körperbetontes Theater. Für mich ist überhaupt die Frage, wie man in unserer Zeit mit einem Naturereignis wie „Carmen“ umgehen kann. Mit ihrer Lust, mit ihrer Gier nach Freiheit, mit ihrer Überschreitung jeder bürgerlichen Norm und mit der Grausamkeit ihrer Tötung, die ja nichts anderes als ein Femizid ist.
Wenige Opern wurden so oft umgeschrieben wie „Carmen“. War das für Sie kein Thema?
Nein. Aber für einige mag es vielleicht schon unerträglich geworden sein, „Carmen“ ohne Triggerwarnungen überhaupt aufzuführen. Das Frauenbild, der Stierkampf, die Zigarettenfabrik...
Sie spielen auch „Ariadne auf Naxos“, jene Strauss-Oper, mit der sich Gérard Mortier einst aus Salzburg verabschiedet hat. Damals wollte er dem Salzburger Publikum einen Spiegel vorhalten, wie respektlos viele mit Kunst umgehen. Was ist Ihre Intention?
„Ariadne“ ist ein hochinteressantes, ausgeklügeltes Stilexperiment zwischen Komödie und Tragödie. Ein faszinierendes Nachdenken über Kunstanspruch und bürgerlicher Oberflächlichkeit, über das Erhabene und das Alltägliche. Und schließlich auch über das Wesen des Theaters selbst – über Ernst und Spiel, Form und Inspiration. Und dann gibt es das Phänomen der Liebe, die in dieser Oper ein Doppelleben führt. Die tragische Liebe von Ariadne und Zerbinettas gänzlich andere, vollkommen unbeschwerte Vorstellung von Liebe. Hier geht es nicht mehr um die Entgegensetzung von entweder/oder, sondern um die Balance eines sowohl/als auch.
Die Ouvertüre spirituelle eröffnet 2026 mit „Lieder der Schwermut und der Trauer“ von György Kurtág. Leben wir in einem Zeitalter der Schwermut und der Trauer?
Kurtág, der 2026 seinen 100. Geburtstag feiert, wird in diesem Programm eine wesentliche Rolle spielen. Ich halte ihn für einen der großartigsten Komponisten unserer Zeit. Zu Ihrer Frage: Ja, wir leben in einem Zeitalter, in dem die Welt als nicht besonders stabil gesehen werden kann, sie ist bedrohlich, irgendwie auch finster. Es gibt Dinge, die verloren gegangen sind oder keine wesentliche Bedeutung mehr haben im Bewusstsein der Menschen. Die Schwerpunkte unseres Lebens werden anders gesetzt. Das kann schon ein Anlass für Traurigkeit sein. Und vielleicht wird man dann, wie Handke sich selber bezeichnet, zum melancholischen Spieler.
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