Erdbeben trifft Kunst: „Wir sind kollektiv sehr nervös“

Erdbeben trifft Kunst: „Wir sind kollektiv sehr nervös“
Einblicke: Der Zagreber Autor Zoran Ferić über Erdbeben, Corona, Traumen und seinen neuen Roman.
Von Uwe Mauch

In diesen Tagen trifft man ihn besser vor der Buchhandlung auf dem Zagreber Hauptplatz. Statt in sein Lieblingscafé „Argentina“ bittet Zoran Ferić zum Spaziergang in den zentralen Zrinjevac-Park.

Wohltuend ist seine leise Ironie nach all der Erdbeben- und Corona-Aufregung! Nicht nur Kroatiens Kritiker schätzen den Humor in seinen Romanen, die auch in deutscher Übersetzung vorliegen.

KURIER: Besitzen Sie auch so eine Erdbeben-Warn-App?

Zoran Ferić: Brauche ich nicht. Ich merke ja auch ohne mein Handy, dass die Erde bebt. Wobei ich einen Phantom-Spürsinn an mir feststelle.

Inwiefern?

Es genügt mir inzwischen, wenn der Bus vorbeifährt, jemand auf den Tisch klopft oder etwas lauter spricht. Wir sind kollektiv sehr nervös.

Kein einziges Kaffeehaus in der ganzen Stadt geöffnet: Ist das nicht eine Zumutung für einen Zagreber?

Ja, das ist für unsere Mentalität gar nicht gut. Wer vor Corona an einem Werktag durch unsere Stadt spazierte, musste den Eindruck gewinnen: Kein einziger Mensch arbeitet hier. Und zum Teil war das wohl auch so. Viele arbeiten jetzt zu Hause.

Ist Zagreb jetzt produktiver?

Ja, das Coronavirus hat uns dazu gebracht, nicht nicht zu arbeiten (lacht).

Erdbeben trifft Kunst: „Wir sind kollektiv sehr nervös“

Wie geht es Ihren Landsleuten, was beobachten Sie?

Viele Menschen hier in Zagreb, und noch mehr die Bewohner rund um Petrinja, leiden längst an posttraumatischen Störungen. Das wahre Ausmaß wird sich allerdings erst in einigen Monaten zeigen. Im Moment sind wir alle noch sehr angespannt. Aber wenn die Erdbeben dann endlich aufhören, wenn alle geimpft sind, aber viele ihre Arbeit verloren haben, dann wird es richtig bitter.

Wie geht es den Schülern in dem Gymnasium, in dem Sie schon lange unterrichten?

Für sie ist das hart. Sie sind zwischen 15 und 19. Das ist eine schöne, manchmal auch komplizierte Zeit im Leben. Natürlich treffen sie sich draußen, haben gemeinsam Spaß, lieben sich auch. Aber wenn sie das tun, dann immer mit schlechtem Gewissen, mit dem Gefühl, dass sie damit andere gefährden.

Erdbeben trifft Kunst: „Wir sind kollektiv sehr nervös“

Und wie geht es Ihnen?

Ich koche sehr gerne, lade gerne Freunde zu mir nach Hause ein, um mit ihnen zu diskutieren und gemeinsam das Leben zu genießen. Das geht jetzt alles nicht. Und es macht mich traurig, wenn ich die Stimme von einem guten Freund, der gerade einmal dreißig Meter von meinem Haus entfernt wohnt, nur am Telefon hören kann. Leider bin ich nicht so sportlich wie ein anderer guter Freund, der es jetzt sehr genießt, mehr Zeit im Freien zu verbringen.

Kann man Beben und Covid beim Schreiben ausblenden?

Ich habe im Oktober 2020 meinen neuen Roman fertiggestellt. Das ist ein fordernder Text, an dem ich fünf Jahre gearbeitet habe. Das Erdbeben im März hat mich kurz aus dem Rhythmus geworfen. In den ersten Tagen danach hatte ich ständig das Gefühl, dass mein Schreibtisch wackelt.

Es ist eine Familiensaga aus dem 20. Jahrhundert, in der Sie das Leben Ihrer Großeltern und Eltern beschreiben. Warum ist Ihnen dieses Thema besonders wichtig?

Weil es in diesem Teil Europas viele interessante Familiengeschichten gibt. Mein Großvater mütterlicherseits beispielsweise war ein Jude, der nach der Revolution in Russland mit seinem Bruder nach Paris flüchtete. Die Familie gehörte nicht zu den ganz Reichen, war aber wohl situiert. Die Brüder konnten Medizin studieren. Der eine ging später nach Tanger, der andere kam nach Zagreb.

Man könnte den kroatischen Titel mit „Wanderbühne“ übersetzen. Wann gibt es ihn in deutscher Übersetzung?

Mein Übersetzer Klaus Detlef Olof arbeitet bereits daran. Doch er hat noch mehr als die Hälfte der 500 Buchseiten vor sich.

Im Juni werden Sie sechzig. Was wünschen Sie sich?

Dass ich in dem kleinen Garten hinter unserem Haus mit sechzig lieben Freunden feiern und grillen kann. Jeden Gast sehe ich als eine Kerze auf meiner Torte. Und dann wünsch’ ich mir noch …

Ja, bitte?

… eine Million Euro.

Der Autor: Zoran Ferić, 1961 geboren, ist Professor für Kroatisch an einem Zagreber Gymnasium, seit 1996 als Autor tätig.

Seine Bücher: Alle Titel sind in deutscher Übersetzung im Wiener Folio-Verlag erschienen. Leider vergriffen: sein mit viel Witz ausgestatteter Erzählband „Engel im Abseits“. Erhältlich:  „Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr“ (538 Seiten, 24,90 Euro). Darin erzählt Ferić von seiner Generation. Diese Generation wurde in Titos Jugoslawien sozialisiert und lebt heute ein diametral anderes Leben in einem Mitgliedsland der EU.

Gemeinsam stark: Der KURIER kooperiert bei seiner Spendenaktion mit den beiden Hilfsorganisationen Rotes Kreuz und Caritas. Darüber hinaus unterstützen erfahrene Mitarbeiter des AußenwirtschaftsCenter Zagreb der Wirtschaftskammer (WKÖ) die Aktion mit ihrer in Kroatien erworbenen Expertise.

Caritas: Kennwort: „Kroatienhilfe KURIER“. Der IBAN des Spendenkontos der Caritas lautet: AT23 2011 1000 0123 4560

Rotes Kreuz: Kennwort: „KURIER Erdbebenhilfe Kroatien“.  Der IBAN des Rot-Kreuz-Spendenkontos lautet: AT57 2011 1400 1440 0144

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