"Enoch Arden“ in der Kammeroper: Altes Seemannsgarn, das aber visuell betört

"Enoch Arden“ in der Kammeroper: Altes Seemannsgarn, das aber visuell betört
Ottmar Gersters „Enoch Arden“ in der Kammeroper des Theaters an der Wien

Ottmar – wer? Diese Frage könnten sich auch begeisterte Opernliebhaber stellen. Denn der deutsche Komponist Ottmar Gerster (1897 bis 1969) ist wohl nur noch wenigen Menschen ein Begriff. Dabei war Gerster – um ein geflügeltes Politikerwort zu verwenden – durchaus „situationselastisch“. Von Adolf Hitler auf die Liste der „Gottbegnadeten“ gesetzt, komponierte er für die NS-Diktatur Werke wie „Deutsche Flieger voraus“. Nach 1945 trat Gerster der SED bei und verfasste für die DDR Stücke wie die „Festouvertüre 1948“, die von diesem Regime wiederum als von „hoher sozialistischer Qualität“ gelobt wurde. Ein ideologischer Pendler zwischen den Welten.

Unabhängig davon gelang dem melodisch mehr als traditionell und spätromantisch (sogar ein Richard Wagner lässt da grüßen) agierenden Komponisten mit der Oper „Enoch Arden oder Der Möwenschrei“ im Jahr 1936 ein großer Erfolg.

Chefsache

Noch-Intendant Roland Geyer hat dieses Werk nun wieder entdeckt. Bereits 2020 hätte es im Theater an der Wien Premiere haben sollen. An der Wiener Kammeroper ist dieses Seemannsdrama nun auch pandemiebedingt die letzte szenische Premiere der Ära Geyer geworden, wobei der Chef selbst auch für die Dramaturgie und Fassung verantwortlich ist.

Worum geht es? Die titelgebende Figur Enoch Arden fährt ein letztes Mal auf See, verlässt dafür seine Frau Annemarie und erleidet mit dem gleichnamigen Kahn Annemarie plötzlich Schiffbruch. Zwölf Jahre der Isolation folgen; Wahnvorstellungen gehen mit einher. Hat die Frau Annemarie inzwischen seinen besten Freund Klas geheiratet? Ist das Kind (der junge Enoch Arden) Fiktion oder Realität? Gibt es eine Rückkehr in die alte Welt?

"Enoch Arden“ in der Kammeroper: Altes Seemannsgarn, das aber visuell betört

All das halten Geyer und der exzellente Regisseur David Haneke (auch Bühne und Video) in Schwebe; visuell ist diese Produktion jedenfalls betörend. Denn Haneke zeigt Strände, Meer, Sand, Sonnenuntergänge und (tote) Möwen per Video im Cinemascope-Format. Grandios die optisch perfekt kalkulierten Szenenwechsel und das Spiel mit den diversen Bewusstseinsebenen. Die Kostüme von Axel E. Schneider fügen sich in das Konzept gut ein.

Am Pult des Wiener KammerOrchesters agiert Walter Kobéra souverän; die audiovisuellen Zuspielungen illustrieren die eingängige Hörbarkeit der Musik. Als Enoch Arden ist der Bassbariton Markus Butter ein Ereignis; als Annemarie und Klas ergänzen Valentina Petraeva sowie Andrew Morstein solide. Als junger Enoch Arden holt sich Samuel Wegleitner Applaus. Ein gutes Finale einer großen Intendanz.

 

Kommentare