Feierstunde für Strauss in Dresden
Von Österreich nach Dresden braucht man, unabhängig vom Verkehrsmittel, fast so lange wie nach New York. Dennoch ist die Stadt in Sachsen immer wieder, dieser Tage aber ganz besonders, eine Reise wert.
In Dresden, konkret an der Semperoper, wurden am Sonntag die weltweiten Feierlichkeiten zum Richard-Strauss-Jahr mit der ersten Opern-Großproduktion würdig gestartet. Den eigentlichen Auftakt hatte es ja beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker gegeben, als erstmals bei diesem Anlass ein Stück des vor 150 Jahren geborenen Komponisten zu hören gewesen war. Wien und Dresden – das sind heute (neben München) zweifellos die ersten Adressen für Werke des deutschen Operngiganten.
Zentrum
Historisch betrachtet war freilich die Semperoper das Zentrum des musikalischen Schaffens von Richard Strauss. Während etwa in Wien nur zwei seiner Opern – die zweite Fassung der „Ariadne“ und die „Frau ohne Schatten“ – uraufgeführt wurden, brachte Strauss in Dresden neun musikalischtheatralische Werke heraus: von „Feuersnot“ (1901) bis „Daphne“ (1938), dazwischen „Salome“, „Elektra“, „Rosenkavalier“, „Arabella“ etc. Es ist also nur allzu verständlich, dass sich Christian Thielemann, einer der großen Strauss-Interpreten unserer Tage, in erster Linie in Dresden dieses Repertoires annimmt.
Dank Thielemann ist diese Oper mit dem groß besetzten Orchesterapparat kein – wie in der Umsetzung vieler seiner Kollegen – kraftmeierischer, allzu voluminöser Gewaltakt. Thielemann setzt selbst in „Elektra“ auf sensible Gestaltung und einen kammermusikalischen Gestus. Er macht Details hörbar, die sonst im hochprozentigen Klangrausch untergehen.
Brückenbauer
„Elektra“ gilt ja immer als weiterer radikaler Schritt nach der „Salome“, ehe sich Strauss zwei Jahre später (1911) mit dem „Rosenkavalier“ dem spätromantischen Fach zuwendete. Thielemann hingegen baut eine Brücke zwischen den Strauss’schen Extremen und verbindet sie damit – dass „Elektra“ musikalisch so nahe an den „Rosenkavalier“ rückt, ist einzigartig und überzeugend.
Das liegt an den Feinheiten, die Thielemann mit dem exzellenten Orchester herausarbeitet, an den sonst kaum zu vernehmenden, bereits auf den „Rosenkavalier“ verweisenden musikalischen Girlanden, an den prachtvollen Klangfarben. Man verlässt die Aufführung und wünscht sich, ebendiese gleich noch einmal zu hören.
Das liegt jedoch auch an der Sängerbesetzung, die – mit einer Ausnahme – die derzeit denkbar beste ist.
Rachedrama
Die Regie von Barbara Frey ist nicht ganz so inexistent wie jene von Cristof Loy in Salzburg bei Thielemanns „Frau ohne Schatten“-Dirigat, bietet aber nur unwesentlich mehr. Das Bühnenbild (Muriel Gerstner) zeigt vor einem Entree, über dem „Justitia Fundamentum Regnorum“ steht, einen Saal, der gerade auf- oder abgebaut wird, also einen rechtsfreien Raum. Frey bezieht inhaltlich kaum Position und lässt das Familiendrama, bei dem der Tod des Agamemnon gerächt wird, statisch ablaufen.
Bei Herlitzius hat man das Gefühl, sie übernimmt mangels Alternativen Versatzstücke aus der „Elektra“-Inszenierung von Patrice Chéreau. Der im vergangenen Jahr verstorbene Regiegigant hatte als seine letzte Produktion mit ihr in Aix dieses Werk erarbeitet.
Die nächste Strauss-Premiere mit Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle findet in Österreich statt: „Arabella“ bei den Salzburger Osterfestspielen, die danach in Dresden zu hören zu sein wird. Die Besetzung mit Renée Fleming und Thomas Hampson ist ebenso hochkarätig. Hoffentlich ist dann die Regie (Florentine Klepper) besser.
Kommentare